Das eigene Kind impfen? Wer entscheidet?

Die Eltern einer dreijährigen Tochter streiten sich über die Durchführung von Schutzimpfungen, unter anderen hinsichtlich folgender Krankheiten: Tetanus, Diphterie, Pertussis, Pneumokokken, Masern, Mumps und Röteln.

Der Vater befürwortet die Durchführung altersentsprechender Schutzimpfungen. Er sieht sich im Rahmen der elterlichen Gesundheitssorge verpflichtet, sein Kind grundsätzlich gegen Infektionskrankheiten impfen zu lassen. Es gebe in Deutschland zwar keine gesetzliche Impfpflicht, doch entsprächen die Empfehlungen der bundesdeutschen Ständigen Impfkommission (STIKO) dem medizinischen Standard. Die Kindesmutter sei demgegenüber nicht bereit, selbst lebenswichtige Impfungen mitzutragen.

Die Mutter meint, ihr liege gerade der Schutz ihrer kleinen Tochter am Herzen. Unabhängig vom Fehlen einer gesetzlichen Impfpflicht in Deutschland sei ihren Recherchen zufolge der Nutzen durchgeführter Schutzimpfungen nicht eindeutig nachgewiesen. Vielmehr wiege das Risiko von Impfschäden schwerer als das allgemeine Infektionsrisiko. Nur wenn ärztlicherseits Impfschäden mit Sicherheit ausgeschlossen werden könnten, könne sie daher eine anlassunabhängige Impfung ihrer Tochter befürworten.

Die Impffrage kann aus Sicht des Oberlandesgerichts (OLG) Jena (Aktenzeichen 4 UF 686/15) nicht zu einer Angelegenheit untergeordneter Bedeutung herabgestuft werden, über deren Durchführung die Antragsgegnerin, die das Kind betreut, kraft der ihr zustehenden Alltagssorge allein zu entscheiden hätte. Vielmehr ist angesichts der mit einer Impfung ebenso wie mit einer Nichtimpfung – zumindest potenziell – verbundenen gesundheitlichen Folgewirkungen von einer erheblichen Bedeutung im Sinne des Sorgerechts auszugehen. Befürwortet ein Elternteil die Durchführung der von der STIKO empfohlenen Schutzimpfungen, beinhaltet diese Haltung seine Eignung, eine kindeswohlkonforme Impfentscheidung zu treffen. Eine Impfung nach dem allgemeinen Stand medizinischer Wissenschaft erscheint geboten, um der Gefahr gravierender, zum Teil nicht behandelbarer Erkrankungen zu begegnen. Daher wurde dem Vater das Recht übertragen, die Einzelfrage der Gesundheitsfürsorge für seine Tochter allein zu entscheiden und diese zu impfen.

Autor des Beitrages: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Henning Gralle-Fachanwaltskanzlei Seidelmann, Garms und Gralle, Oldenburg

 

Das eigene Kind impfen - wer entscheidet?

Kinder dürfen mit ihrem Vater nach Nigeria ausreisen

Der Kindesvater arbeitet seit fünf Jahren im afrikanischen Nigeria in der dortigen Metropole Lagos. Seine beiden minderjährigen Kinder, inzwischen 14 und elf Jahre alt, lebten zuletzt bei den Großeltern, die Kommunikation zur Kindesmutter war stark beeinträchtigt. Der Kindesvater wollte seine Kinder mit nach Nigeria nehmen. Darf er das? Wohnmöglichkeiten und Lernmöglichkeiten in einer internationalen Schule sind dort vorhanden. Ein beruflicher Wechsel des Vaters nach Deutschland oder in das europäische Ausland ist nicht zu erwarten.

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat in einer aktuellen Entscheidung vom 23. Mai 2016 entschieden (Aktenzeichen 14 UF 3/16), dass die beiden Kinder sich emotional weit von der Mutter entfernt hätten und eine deutliche Ablehnung feststellbar sei. Die Kinder lehnen jeglichen Kontakt zur Mutter ab. Zwischen den Eltern besteht keinerlei Basis für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Insoweit war die elterliche Sorge dem Vater allein zu übertragen. Sein Vorhaben, den Wohnsitz der beiden Kinder in das außereuropäische Ausland zu verlegen, widerspricht nicht dem Kindeswohl.

Der  wiederverheiratete Vater konnte deutlich machen, dass alle Familienmitglieder an einem Ort zusammenleben möchten und die berufliche Situation des Vaters eine Anwesenheit in Nigeria erfordere. Beide Kinder seien auf den Wechsel nach Afrika gut vorbereitet. Die Kinder hätten auch den Wunsch geäußert, mit dem Vater und dessen neuer Ehefrau zukünftig in Nigeria leben zu wollen.

Eine Übertragung der elterlichen Sorge auf die Kindesmutter, die in Schleswig-Holstein lebt, hat das Oberlandesgericht abgelehnt, weil die Kinder ihre Mutter aus dem Leben verdrängt hätten und jeglichen Kontakt ablehnten. Zurzeit sei nicht erkennbar, dass es sich nur um eine vorübergehende Einstellung der beiden Kinder handele.

Im Ergebnis hat das OLG daher die alleinige elterliche Sorge für beide Kinder auf den Vater übertragen, der nunmehr auch über den Wohnsitz der Kinder entscheiden kann. Einem Wechsel nach Nigeria steht nichts im Wege.

Autor: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Henning Gralle – Fachanwaltskanzlei Seidelmann, Garms und Gralle, Alexanderstraße 111, Oldenburg. Tel. 0441/96 94 81 40 oder gralle@fachanwaelte-ol.de. Weitere Infos: www.fachanwaelte-ol.de.

OLG-Oldenburg-Entscheidung

Bei Religionsfragen entscheiden die Eltern, nicht die Pflegefamilie

Das neunjährige Kind lebt seit der Geburt in einer Pflegefamilie. Dem Jugendamt des örtlichen Landkreises wurde damals die sorgerechtliche Verantwortung übertragen, nachdem die Kindesmutter dazu nicht in der Lage war. Nicht umfasst vom Sorgerecht für das Jugendamt war die Frage der religiösen Erziehung des Kindes.

In der Pflegefamilie wurde das Kind, das zurzeit die dritte Klasse einer Grundschule besucht, auf der Grundlage christlicher Werte erzogen und römisch-katholisch getauft. In der Pflegefamilie wird der Glaube aktiv gelebt, die eigenen Kinder der Pflegeeltern wurden christlich erzogen. Im Mai 2016 sollte das Pflegekind nach den Vorstellungen der Pflegeeltern die Erstkommunion empfangen.

Hiergegen hat sich die Kindesmutter, eine Marokkanerin muslimischen Glaubens, gewehrt und argumentiert, sie habe immer darauf Wert gelegt, dass auch nach der Inobhutnahme des Kindes durch die Pflegefamilie das Kind nach muslimischem Glauben erzogen werden solle.

Nachdem das Familiengericht in der ersten Instanz noch argumentiert hat, es diene dem Wohle des Kindes, wenn es weiterhin nach christlichen Werten erzogen werde, so war das Oberlandesgericht (OLG) Hamm in einer aktuellen Entscheidung vom 29. März 2016 (Aktenzeichen 2 UF 223/15) der Auffassung, dass der leiblichen Mutter als Inhaberin des religiösen Erziehungsrechts die Entscheidung obliege, nach welchen Grundsätzen das eigene Kind erzogen werde.

Es sei daher nicht von Bedeutung, so das OLG, ob die Erziehung des neunjährigen Kindes im römisch-katholischen Glauben dem Wohle des Kindes entspreche. Denn die marokkanische Mutter hat das Bestimmungsrecht bis zum endgültigen Entzug der elterlichen Sorge zu Religionsfragen unzweifelhaft ausgeübt. Sie war somit rechtlich in der Lage, als Ausfluss ihrer elterlichen Restsorge die Religionszugehörigkeit des Kindes zu bestimmen. Das Jugendamt und damit die Pflegeeltern sind an die Bestimmung der Religionszugehörigkeit durch die Kindesmutter gebunden.

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass der Verbleib des Kindes bei einer Pflegefamilie die leiblichen Eltern nicht rechtlos stellt, sondern vielmehr im Einzelfall geschaut werden muss, in welchen sorgerechtlichen Fragen noch Entscheidungskompetenz besteht.

Autor dieses Beitrages ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Henning Gralle aus der Oldenburger Fachanwaltskanzlei Seidelmann, Garms und Gralle, Alexanderstraße 111, Tel. 0441/96 94 81 40 oder gralle@fachanwaelte-ol.de.  Weitere Infos unter www.fachanwaelte-ol.de.

Alleinsorge der Mutter trotz Vollmacht des Vaters

Die Eltern, gleich ob verheiratet oder in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebend, sind verantwortlich für ihre gemeinsamen Kinder. Grundsätzlich haben sie gemeinsam die Verantwortung zu tragen, also die elterliche Sorge wahrzunehmen. Dies betrifft sowohl die Frage des Lebensmittelpunktes als auch Fragen im schulischen oder gesundheitlichen Bereich.

Wenn zwischen den Eltern Streit besteht und eine Kommunikation und Kooperation nicht mehr möglich ist, kommt die Übertragung der Sorgeverantwortung auf einen Elternteil in Betracht. Aktueller Fall dazu: der Kindesvater eines zehnjährigen Sohnes hat die Mutter mit einer schriftlichen Vollmacht bevollmächtigt, ihn, den Kindesvater, in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten zu vertreten. Mit dieser schriftlichen Vollmacht wollte er vermeiden, dass das Familiengericht die elterliche Sorge auf die Mutter allein überträgt. Die Kindesmutter war jedoch mit der Erteilung der Vollmacht nicht einverstanden und hielt diese gegenüber der Alleinsorge für nicht ausreichend.

Zu Recht, wie in einer aktuellen Entscheidung das Oberlandesgericht Karlsruhe (Aktenzeichen 18 UF 181/14) entschieden hat. Die Familienrichter haben deutlich gemacht, dass eine Vollmacht nur dann Bestand hat und eine gerichtliche Entscheidung vermieden werden kann, wenn die Vollmacht auf der Grundlage einer Vereinbarung der Eltern erteilt wurde. Eine zum Wohl des Kindes erteilte Sorgerechtsvollmacht setzt insbesondere voraus, dass die Mutter auch bereit ist, die sorgerechtliche Verantwortung für den anderen Elternteil zu übernehmen und vor allem auch die damit verbundenen Informations- und Rechenschaftspflichten zu erfüllen. Die Ausübung der elterlichen Sorge kann deshalb sinnvoll und zum Wohle des Kindes nur im Einvernehmen der Eltern auf einen Elternteil übertragen werden.

Eine Vereinbarung zwischen den Eltern im Sinne einer Vollmacht beinhaltet auch ein gegenseitiges Vertrauensbekenntnis, das vorliegend aufgrund der fehlenden Kontakte des Vaters zu seinem Kind und der fehlenden Kooperationsfähigkeit mit der Mutter nicht vorhanden sei.

Die Karlsruher Richter haben daher die Vollmachterteilung des Vaters als nicht ausreichend erachtet, weil die Mutter mit der Erteilung der Vollmacht nicht einverstanden sei und die Vollmacht gegenüber der Alleinsorge für nicht ausreichend erachte. Die Mutter akzeptiere gerade nicht, dass der Vater weiterhin Mitsorgeberechtigter bleibe.

Im Ergebnis hat das Gericht daher die alleinige elterliche Sorge für das Kind auf die Mutter übertragen. Die Vollmacht ist wirkungslos.

 Autor: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Henning Gralle – Fachanwaltskanzlei Seidelmann, Garms und Gralle, Alexanderstraße 111, Oldenburg. Tel. 0441/96 94 81 40 oder gralle@fachanwaelte-ol.de. Weitere Infos: www.fachanwaelte-ol.de

NWZ Beitrag Rechtsanwalt Gralle

 

Kontinuität – die Kinder bleiben bei der Mutter

140px-NWZ-LogoWenn Eltern unterschiedliche Auffassungen über den künftigen Wohnort ihrer Kinder haben und eine gemeinsame Einigung nicht herbeigeführt werden kann, muss entschieden werden, wo die Kinder in Zukunft leben. Dabei kommt es auf die Kontinuität, die Bindung der Kinder sowie den geäußerten Willen der Kinder an. Im vorläufigen Rechtsschutz (einstweiliges Anordnungsverfahren) soll ein mehrfacher Aufenthaltswechsel eines Kindes bis zur endgültigen Entscheidung nach Möglichkeit vermieden werden.

Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg hat in einer aktuellen Entscheidung (Aktenzeichen 3 UF 125/15) vom 17. September entschieden, dass die sechs Jahre alte Tochter und der drei Jahre alte Sohn der im Großraum Aurich lebenden Eltern bei der Kindesmutter bleiben sollen. Die Eltern hatten sich Anfang 2015 getrennt, der Vater hat das Ehehaus verlassen, die Mutter blieb im Ehehaus, will nunmehr jedoch nach Bremen umziehen. Der Vater ist mit einem Umzug nach Bremen nicht einverstanden

Nachdem das Familiengericht Aurich die beiden Kinder noch dem Vater zugesprochen hatte, hat das OLG Oldenburg diese Entscheidung geändert und entschieden, dass aus Gründen der Kontinuität die Kinder in der gewohnten Umgebung verbleiben sollen. Zwar hätten beide Kinder starke Bindungen an beide Elternteile, diese seien auch gleichermaßen bereit, sich für die Förderung und Betreuung ihrer Kinder zu engagieren. Der Vater habe sogar seine Arbeitszeit reduziert.

Entscheidend sei, dass die Kinder seit dem Auszug des Vaters im Februar 2015 ihren Lebensmittelpunkt bei der Kindesmutter gehabt hätten. Dies sei angesichts des geringen Alters der Kinder ein erheblicher Zeitraum. Trotz eines umfangreichen Umgangsrechtes habe die Kindesmutter die Kinder überwiegend betreut. Die Kinder hätten in überwiegendem Maße auch die den Tagesablauf wesentlich prägenden Momente des Zubettgehens und des Aufstehens im Haushalt der Mutter erlebt.

Das soziale Umfeld im Bereich Aurich mit engen Bindungen zu Verwandten sei angesichts des geringen Alters der Kinder bedeutsam, ein Wechsel der Hauptbezugsperson Mutter sei jedoch mit erheblicher Gefahr emotionaler Instabilität der Kinder verbunden. Gerade kleinere Kinder benötigen einen verlässlichen Schutz. Die Kinder würden einen Lebensmittelpunkt ohne die Mutter voraussichtlich schlechter verkraften als einen Lebensmittelpunkt ohne den Kindesvater.

Ob in einem Hauptsacheverfahren mit einer eventuellen Stellungnahme eines Sachverständigengutachtens eine andere Entscheidung zugunsten des Vaters gefällt werden kann, hat das Oberlandesgericht offen gelassen.

Autor: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Henning Gralle – Fachanwaltskanzlei Seidelmann, Garms und Gralle, Alexanderstraße 111, Oldenburg. Tel. 0441/96 94 81 40 oder gralle@fachanwaelte-ol.de. Weitere Infos: www.fachanwaelte-ol.de

Sorgerecht-Mutter-NWZ-Beitrag-RA-Gralle

Gemeinsame elterliche Sorge muss nicht der Grundsatz sein

140px-NWZ-LogoGrundsätzlich soll bei unehelichen Kindern durch die Eltern die Verantwortung für deren Kinder im Rahmen der elterlichen Sorge (Personen-und Vermögenssorge) gemeinsam ausgeübt werden. Bei geschiedenen Eltern ist dieser Grundsatz nicht als Regel anzunehmen. Dem Gesetz ist kein Leitbild gemeinsamer elterlicher Sorge zu entnehmen, hat das Oberlandesgericht (OLG) in Celle am 14. August dieses Jahres (Aktenzeichen 15 UF 44/15) festgestellt.

Die Familienrichter in Celle mussten entscheiden, ob für ein 15-jähriges Mädchen nur die Kindesmutter die Sorge ausüben sollte oder auch der Kindesvater. Zwischen den Eltern fehlte es an der Fähigkeit, ihre Tochter betreffende Fragen zu besprechen und im gegenseitigen Austausch der Argumente eine einvernehmliche Lösung zu finden. Bereits Telefonate zwischen den Eltern eskalierten schnell. Das Streitpotenzial zwischen Mutter und Vater sei als sehr hoch anzusehen.

Das Kind hat unter den Streitigkeiten der Eltern gelitten und würde bei einem Wiederaufflammen weiterhin leiden. Die Tochter, zwischenzeitlich in der 9. Schulklasse, hat erklärt, sie wolle ihren Vater zurzeit nicht sehen und zur Ruhe kommen. Der Vater würde nur Stress machen. Die Eltern würden sich jedes Mal streiten, wenn sie miteinander zu tun hätten. Es werde dann schnell laut und sie würden sich anschreien, so die Tochter. Diese habe damit ihren Willen deutlich geäußert. Das OLG in Celle ist der Auffassung, dass angesichts des Alters der Tochter von inzwischen 15 Jahren deren Wille für die Entscheidung von erheblicher Bedeutung sei. Die Tochter erwarte sich von einer alleinigen Entscheidungsbefugnis durch die Mutter eine persönliche Entlastung, da die Eltern dann keinen Anlass mehr zu Streitigkeiten hätten.

Aus Kindeswohlgründen sei daher die elterliche Sorge allein auf die geschiedene Mutter zu übertragen. Ein Leitbild gemeinsamer elterlicher Sorge spiele bei dieser Beurteilung keine Rolle.

 

Autor: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Henning Gralle – Fachanwaltskanzlei Seidelmann, Garms und Gralle, Alexanderstraße 111, Oldenburg. Tel. 0441/96 94 81 40 oder gralle@fachanwaelte-ol.de. Weitere Infos: www.fachanwaelte-ol.de

NWZ vom 15.09.15 - Gemeinsame elterliche Sorge muss nicht der Grundsatz sein

OLG Oldenburg: Sorgerecht auch für den Vater

140px-NWZ-LogoSeit Mai 2013 gilt die gesetzliche Regelung, dass die elterliche Sorge beiden Elternteilen gemeinsam zusteht. Eine Ausnahme besteht nur, wenn die gemeinsame Sorgerechtsausübung dem Wohle des Kindes widerspricht. Voraussetzung für die gemeinsame Sorge ist, dass die Eltern zumindest in wesentlichen Punkten miteinander reden können.

Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg hat in einer Entscheidung vom 25. Februar 2015 betont, dass der Vater eines zwölfjährigen Sohnes und einer zehnjährigen Tochter nunmehr mit der Mutter das Sorgerecht gemeinsam ausüben muss. Das bedeutet, beide Eltern müssen zusammen entscheiden, zu welcher Schule die Kinder gehen, welche Ausbildung absolviert wird oder wann ein Führerschein in Betracht kommt. Beide Kinder wurden unehelich geboren, gemeinsame Sorgeerklärungen wurden nicht abgegeben. Seit der Geburt der Kinder im Jahre 2002 bzw. 2004 war die Mutter also allein sorgeberechtigt.

Das OLG (Aktenzeichen 4 UF 169/14) hat deutlich gemacht, dass der Kindesvater um das Kindeswohl bemüht sei. Er hat der Umschulung seiner Tochter in eine Förderklasse zugestimmt. Auch steht er mit den Lehrern beider Kinder in Kontakt. Den Bemühungen des Kindesvaters in zahlreichen Umgangsverfahren während der vergangenen zehn Jahre sei es zu verdanken, dass die beiden Kinder zum Vater eine enge Beziehung hätten. Die Einschätzung der Kindesmutter, dass gemeinsame Entscheidungen im Sinne der Kinder nicht möglich seien, war nach Auffassung des Gerichts wenig konkret.

Das Gericht erklärt, dass eine Verbesserung der Situation für die beiden Schüler infolge der für die Eltern bestehenden Anforderung, im Sinne der Kinder zu kooperieren, zu erwarten sei. Denn die Eltern müssen zum Wohle und im Interesse ihrer Kinder zu gemeinsamen Entscheidungen kommen. In Angelegenheiten des täglichen Lebens (Kauf von Nahrungsmitteln oder Kleidung, routinemäßige Arztbesuche) kann die Mutter allein entscheiden.

Im Ergebnis ist die Oldenburger Entscheidung ein gutes Signal für sorgewillige Väter, bei Entscheidungen für eigene Kinder mitzubestimmen. Denn die Mutter muss im Gegenzug Argumente vorbringen, warum sie allein entscheiden will.

Autor: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Henning Gralle – Fachanwaltskanzlei Seidelmann, Garms und Gralle, Alexanderstraße 111, Oldenburg. Tel. 0441/96 94 81 40 oder gralle@fachanwaelte-ol.de.

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Unterhaltspflichten und ein weiteres Kind

140px-NWZ-LogoPatchwork-Familien gehören zum Familienalltag. In der neuen Beziehung leben Kinder aus früheren Beziehungen, es bestehen gegenseitige Unterhaltspflichten. Dass die Berechnungen von Unterhalt für Kinder und Ehepartner durch die Formen der Patchworkfamilie schwieriger werden macht folgendes Beispiel aus dem Brandenburgischen deutlich.

Anfang 2013 hat sich die Mutter verpflichtet, für ihre beiden Kinder Unterhalt in Höhe von jeweils 205 EURO zu zahlen. Die Kinder leben beim Vater. Im Juli 2013 wird die Frau erneut von einem anderen Mann schwanger. Vor der Schwangerschaft war die Frau berufstätig und erzielte 1700 EURO netto, der neue Lebensgefährte  verdiente 1500 EURO und damit weniger als die Mutter.

Die Frau war der Auffassung, sie müsse für die beiden ersten Kinder keinen Unterhalt mehr zahlen, da sie nach der Geburt ihres dritten Kindes nur noch Elterngeld in Höhe von rund 1000 EURO verdiene und bei Berücksichtigung von Krankenversicherungsleistungen (über 200 EURO) nicht mehr leistungsfähig sei. Der Eigenbedarf (Selbstbehalt) in Höhe von 800 EURO bei Personen, die nicht erwerbstätig seien, sei unterschritten. Für Miete, Nebenkosten, Kleidung und Nahrungsmittel seien die 1000 EURO gerade ausreichend, für ihre beiden Kinder könne sie daher keinen Unterhalt zahlen.

Das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg (Aktenzeichen 3 WF 101/13) hat in einer jetzt veröffentlichten Entscheidung betont, dass die Frau trotz des dritten und erst wenige Monate alten Kindes unterhaltsrechtlich verpflichtet sei, für die beiden älteren Kinder, die beim geschiedenen Ehemann und Vater lebten, Unterhalt zu zahlen. Denn die Mutter dürfe nur dann auf eine Berufstätigkeit verzichten, wenn diese Rollenverteilung der neuen Familie einen Vorteil bringe. Dies sei jedoch bei den Verdienstmöglichkeiten der Frau und dessen neuem Lebensgefährten nicht der Fall. In dieser Einkommenssituation sei es unter Berücksichtigung der Interessen der beiden älteren Kinder angebracht, dass die Mutter arbeite und der neue Lebensgefährte (der weniger verdient) sich um sein Kind kümmere. Es ist also zu fragen, wie sich die Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau in der neuen Beziehung (dies gilt sowohl in der Ehe als auch in der nichtehelichen Lebensgemeinschaft) darstellt und ob der Unterhaltspflichtige eine Erwerbstätigkeit aufgeben oder herabsenken darf, weil weitere Kinder betreut werden müssen.

Autor: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Henning Gralle – Fachanwaltskanzlei Seidelmann, Garms und Gralle, Alexanderstraße 111, Oldenburg. Tel. 0441/96 94 81 40 oder gralle@fachanwaelte-ol.de.

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Beide Eltern müssen Kindergartenvertrag kündigen

140px-NWZ-LogoVerheirateten Eltern steht das Sorgerecht gemeinsam zu. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch ist bei Eltern, die getrennt leben, eine gemeinsame Entscheidung bei wichtigen Angelegenheiten des Kindes erforderlich. Die An- und Abmeldung des Kindes bei einer Kinderkrippe oder einem Kindergarten hat für das Kind erhebliche Bedeutung, entsprechende Verträge und die Kündigung von Verträgen müssen daher durch beide Eltern erfolgen.

Das Verwaltungsgericht Köln (Aktenzeichen 19 K 2690/11) hat in einer jetzt veröffentlichten Entscheidung bestätigt, dass der Vater und die Mutter, gegebenenfalls in getrennten Schreiben, den Vertrag kündigen müssen.

Die Eltern haben während der intakten Ehe den Kindergartenvertrag gemeinsam unterschrieben. Dann erfolgte die Trennung der Eltern. Die Mutter kündigte für ihren vierjährigen Sohn den Vertrag bei der städtischen Kindergarteneinrichtung allein. Der getrennt lebende Ehemann und Kindesvater hat keine Kündigung ausgesprochen. Dies ist nach Auffassung der Richter nicht ausreichend. Der Kindergarten hat daher einen Anspruch auf weitere Monatsbeiträge.

Grundsätzlich sind Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind solche, deren Entscheidung nur schwer oder gar nicht abzuändernde Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes hat. Über sie sollen die Eltern nur gemeinsam entscheiden. Dies gilt sowohl für Eheleute als auch für nichteheliche Partner, die für das Kind eine gemeinsame Sorgeerklärung unterzeichnet haben.

Einzelne Maßnahmen von erheblicher Bedeutung sind zum Beispiel die religiöse Erziehung, die Ausbildung und dabei insbesondere die Auswahl der Schule bzw. ein Schulwechsel. Auch der Wechsel des Kindes in ein Heim oder ein Internat sind von erheblicher Bedeutung und bedürfen der Zustimmung beider Elternteile. Auch Reisen kleiner Kinder in einen fremden Kulturkreis bzw. Reisen mit mehrstündigen Flügen müssen die Eltern gemeinsam abstimmen.

Keine gemeinsamen Entscheidungen müssen bei Alltagsfragen getroffen werden wie die Anmeldung zum Nachhilfeunterricht, die Entscheidung, wer das Kind vom Kindergarten oder der Schule abholen darf, Fernsehkonsum sowie der Besuch von Schwimmbädern oder Diskotheken. In Zweifelsfällen gilt für den einen Elternteil, dass er sich mit dem anderen Elternteil in Verbindung setzt und dort versucht, eine gemeinsame Entscheidung zu finden. Sollte diese scheitern, ist gegebenenfalls das Familiengericht anzurufen, um dort zu klären, ob eine Zustimmung erforderlich ist und dass der andere Elternteil diese Zustimmung auch erteilt.

Autor: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Henning Gralle – Fachanwaltskanzlei Seidelmann, Garms und Gralle, Alexanderstraße 111, Oldenburg. Tel. 0441/96 94 81 40 oder gralle@fachanwaelte-ol.de.

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