Unterhalt in Zeiten von Corona

Corona macht nicht nur gesundheitliche Sorgen, sondern auch finanzielle. Selbständige, die von heute auf morgen ihren Betrieb schließen müssen und nicht wissen, ob das Infektionsschutzgesetz für sie Entschädigungen vorhält; Arbeitnehmer, die in Kurzarbeit geschickt werden und nur noch 67 % Lohn bekommen – es herrscht in vielen Familien spontan Existenzangst. 

Was aber, wenn die Familie nicht zusammenrückt, weil sie getrennt lebt?
Und was, wenn ein Teil der Familie wirtschaftlich vom anderen abhängt – sprich Unterhalt bezahlt oder erhält?

Erste Frage: Gibt es einen Unterhaltstitel?

„Tituliert“ bedeutet, dass der Unterhaltspflichtige beim Jugendamt oder Notar freiwillig erklärt hat, in welcher Höhe er Unterhalt schuldet (Verpflichtungsurkunde), oder dass in einem Gerichtsverfahren ein Unterhaltsbetrag festgesetzt wurde.

Liegt ein Titel vor, droht bei Nichtzahlung sofort die Zwangsvollstreckung z.B. durch Kontenpfändung.    
Außerdem laufen durch Nichtzahlung die Rückstände zu Schulden auf.
Es ist also dann keine gute Idee, einfach die Zahlungen einzustellen, zumal die Corona-Periode nicht auf Dauer anhält.

Nur wer ohne Titel – also sozusagen freiwillig – zahlt, kann überhaupt einseitig kürzen.

Dass er dies mit dem Anderen kommunizieren sollte, ist ein Gebot der Fairness, denn dort können ggf. öffentliche Sozialleistungen beantragt werden, um die Lücke zu füllen.


Liegt also ein Titel vor, wären die richtigen Maßnahmen:

Aus Sicht des Unterhaltspflichtigen, der weniger zahlen möchte:

a)    Man einigt sich mit dem Unterhaltsberechtigten auf eine Kürzung, Stundung, zeitweiligen Verzicht der Vollstreckung, Ratenzahlung.

Achtung: Die Beteiligten eines gerichtlichen Vergleichs können diesen außergerichtlich zwar als materiell-rechtlichen Vertrag ändern, aber nicht als Vollstreckungstitel. Auch eine Jugendamtsurkunde kann z.B. nicht durch eine spätere Jugendamtsurkunde abgeändert werden. Wenn beide Seiten sich inhaltlich einig sind, kann aber außergerichtlich vereinbart werden, dass der Gläubiger auf die Rechte aus dem früheren Titel verzichtet, und ein neuer Titel mit anderem Inhalt errichtet wird.    

b)    Man beantragt die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bei Gericht.

c)    Man verbindet letzteres zeitgleich mit einem Abänderungsbegehren nach dem Familiengesetz FamFG.

Sowohl betreffend die Entscheidung hierüber als auch betreffend die vollstreckungsgerichtliche Unterstützung auf Gläubigerseite herrscht allerdings heute völlige Unklarheit, ob die Gerichte diese Verfahren zeitnah betreiben können.

Anders lässt sich aber keinesfalls eine Überzahlung zurückfordern.

Einfacher aus Sicht des Unterhaltsberechtigten, der wegen Einkommenseinbuße mehr Unterhalt benötigt:

Hier genügt eine außergerichtliche Inverzugsetzung.


Materiellrechtliche Abänderungsvoraussetzungen

Neben dieser formalen Frage ist zu prüfen, ob inhaltlich (materiellrechtlich) überhaupt eine Abänderung möglich ist.

a)    Beim Kindesunterhalt sehen die Einkommensgruppen Spannen von 400 € netto vor. Wer in Kurzarbeit geht, bekommt zwar nur 67% seines Nettoeinkommens, jedoch fallen auch berufsbedingte Aufwendungen wie Fahrtkosten weg. Ggf. führt die Kurzarbeit also gar nicht dazu, dass eine andere Einkommensgruppe zutrifft.

b)    Beim Kindesunterhalt für minderjährige Kinder gibt es den sogenannten  Mindestunterhalt: es besteht eine „gesteigerte Erwerbsobliegenheit“ mit dem Ziel, dass der Mindestunterhalt zu den aktuellen Zahlbeträgen von 267 € für ein Kind bis zu 5 Jahren, von 322 € von Kindern im Alter von 6-11 Jahren und in Höhe von 395 € im Alter von 12-17 Jahren zu zahlen ist. 

Aktuell haben wir keine „normalen Zeiten“. Dennoch bleibt: wer weniger als den Mindestunterhalt zahlen will, muss dazu vortragen, warum er unverschuldet nicht einmal mehr als den Selbstbehalt in Höhe von aktuell 1160 € verdienen kann. Zu prüfen wäre z.B., ob spontane Einsätze als Erntehelfer oder als Lagerist im Lebensmittelhandel möglich und zumutbar sind, denn in diesen Branchen herrscht gerade (Corona-bedingt) Arbeitskräfte-Mangel.

c)    Beim Unterhalt, der für getrennt lebende oder geschiedene Ehegatten zu zahlen ist, besteht keine „gesteigerte“ Erwerbsobliegenheit wie beim Minderjährigenunterhalt.,

Jeder verdiente Einkommensbetrag wird im Zuge einer Unterhaltsquote sowohl auf Seiten des Berechtigten als auf Seiten des Verpflichteten berücksichtigt.

Außerdem kann auch der Unterhaltsberechtigte von Corona-Einbußen betroffen sein und dadurch höheren Anspruch als zuvor haben. Besondere Bedeutung bekommen  Einkommensausfälle wegen der Betreuung von gemeinsamen Kindern, die sonst fremdbetreut waren, aber deren Einrichtungen geschlossen sind.


Wesentlichkeitsschwelle  und Nachhaltigkeit der Veränderung

Für das akute Thema „Corona“ relevant ist die Frage der Dauer. Es kann heute niemand absehen, für welchen Zeitraum die Pandemie-Einschränkungen der Arbeitswelt herrschen.
Um einen Unterhaltstitel wegen veränderter Umstände abändern zu können, muss die wesentliche Veränderung aber nachhaltig sein.

Angenommen, nach zwei Monaten würde eine normale Situation vorherrschen und dann vielleicht sogar bezahlte Überstunden geleistet werden, um rückständige Arbeit abzubauen – wohl ein Fall ohne Abänderungsmöglichkeit.


Korrektur der Prognose

Eine „monatsweise“ Betrachtung wie z.B. bei öffentlichen Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern scheidet im Familienrecht üblicherweise aus. Immer wird Unterhalt prognostiziert anhand von Erkenntnissen der Vergangenheit; also geht es um die Frage, ob und wie diese Prognose an die neuen Verhältnisse anzupassen ist.

Der Richter hatte bei der Errichtung des Titels die Aufgabe übernommen, bei seiner Entscheidung über den Anspruch neben den vorliegenden und den zuverlässig zu erwartenden Umständen vorausschauend auch die Entwicklung der Verhältnisse zu berücksichtigen.
Denkbare Abweichungen der Realität von dieser Prognose und damit auch nicht nur kurzfristige Ungerechtigkeiten nimmt das Gesetz hin, wie man z.B. an § 1605 BGB sieht, wonach üblicherweise zwei Jahre gewartet werden muss, bis wieder eine Anpassung an gestiegenes Einkommen des Unterhaltspflichtigen erfolgen kann.

Prognostiziert wird in der Regel ein „Jahreseinkommen“, aus dessen Zwölftel dann die Leistungsfähigkeit berechnet wird.


Die Prognose gilt als richtig und bleibt ein gültiger Vollstreckungstitel, auch wenn sich die Verhältnisse anders entwickeln – bis eine förmliche Abänderung begehrt wird.
Unklar bleibt, wie stark kurz-, mittel- oder gar langfristige Einbußen sind und wie das Jahreseinkommen 2020 aussehen wird? Denkbar ist auch, dass sich Betriebe von der „Social-Distancing“-Phase gar nicht mehr erholen.

Fazit

Wer sich mit dem Unterhaltsgläubiger nicht irgendwie einigt, muss den richtigen Augenblick erkennen, in dem er von einer wesentlichen und nachhaltigen Einkommensreduzierung ausgeht, und dann unverzüglich (anwaltlich vertreten!) nach dem Familiengesetz vorgehen.

Mit Anhängigkeit (Antragseingang bei Gericht) dieses Antrages können die weiteren Zahlungen als Darlehen oder „unter Vorbehalt“ deklariert und später zurückgefordert werden – allerdings nicht für Zeiträume, die vor dem Abänderungsantrag liegen.

Minderjährige darf ohne Zustimmung der Eltern abtreiben

SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH – Persönlichkeitsrecht der Schwangeren rechtfertigt eigene Entscheidung

Müssen die Sorgeberechtigten einem Schwangerschaftsabbruch einer Minderjährigen zustimmen? Hat sie die nötige Einsicht und Entscheidungskompetenz? Eine komplexe Problematik, wie der Fall einer 16-Jährigen zeigt.

Eine 16-jährige junge Frau, deren Eltern gemeinsam sorgeberechtigt sind, befindet sich in der 11. Schwangerschaftswoche und möchte einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Der Vater ist mit dem Abbruch einverstanden, die Mutter ist dagegen. Die werdende Mutter hat sich eigenständig über die Möglichkeiten der Fortsetzung sowie des Abbruchs der Schwangerschaft informiert. Sie hat mehrere Beratungsgespräche bei der AWO und bei Fachärzten für Frauenheilkunde sowie ein gemeinsames Gespräch mit ihrer Mutter beim Jugendamt wahrgenommen. Das Familiengericht erster Instanz hat entschieden, die Abbruchentscheidung bedürfe der Zustimmung der Eltern.

Das Urteil des OLG

Das Oberlandesgericht Hamm (Aktenzeichen 12 UF 236/19) hat in einer Entscheidung vom November vergangenen Jahres betont, dass eine Zustimmung der Eltern zum Schwangerschaftsabbruch nicht erforderlich sei.

Die Begründung

Zur Begründung führt das OLG aus, dass die Einwilligung in einen körperlichen Eingriff nicht mehr als rechtsgeschäftliche Verfügung angesehen werden könne, da in der Gesetzesbegründung ausdrücklich darauf verwiesen werde, dass für die Einwilligungsfähigkeit die natürliche Willensfähigkeit des Patienten entscheidend sei. Es komme daher nicht auf die Geschäftsfähigkeit gem. §§ 104 ff. BGB an.

Der Umstand, dass die 16-jährige bei gegebener Einsichtsfähigkeit selbst in einen Eingriff einwilligen müsste, schließe aber nicht aus, dass sie zumindest in bestimmten Konstellationen auch der Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter bedürfte, da die Personensorge auch das Recht und die Pflicht zur Pflege, Erziehung und Betreuung des Kindes umfasse, einschließlich der Sorge für die physische und psychische Gesundheit.

Gleichzeitig sehe das Gesetz aber auch vor, dass die wachsende Fähigkeit und das Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen sei. So stehe einem Minderjährigen nach vollendeten 14.

Lebensjahr frei, über sein religiöses Bekenntnis zu entscheiden. Im Hinblick auf die Einwilligung in medizinische Eingriffe habe der Gesetzgeber bewusst eine starre Altersgrenze vermieden.

Grundrechtlich geschütztes Selbstbestimmungsrecht

Die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch betreffe den engen Kern des grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts. Weise die Minderjährige die nötige Reife auf, diese Entscheidung zu treffen, sei ihrem Selbstbestimmungsrecht der Vorrang vor dem elterlichen Erziehungsrecht einzuräumen, so dass es ausschließlich auf ihre Entscheidung ankomme. Da die Alleinkompetenz der Minderjährigen von ihrer Einwilligungsfähigkeit abhänge, seien an deren Feststellung durch den behandelnden Arzt hohe Anforderungen zu stellen. Bei der Einsichtsfähigkeit komme es sowohl auf die Fähigkeit zur medizinischen Selbstbestimmung als auch die Fähigkeit zur Rechtsgüterabwägung an. Zwar sei ab Vollendung des 16. Lebensjahres eher eine hinreichende Reife anzunehmen, doch sei eine ernsthafte Prüfung gleichwohl in jedem Fall erforderlich.

Reifeprüfung

Im konkreten Sachverhalt gehe der Senat – auf Grund des persönlich gewonnen Eindrucks sowie der vorliegenden Stellungnahmen der AWO, des Jugendamts und auch des Klassenlehrers – davon aus, dass die junge Frau alle Möglichkeiten und Folgen des Schwangerschaftsabbruchs erfasst und abgewogen habe, so dass sie in der Lage sei, die Entscheidung eigenverantwortlich zu treffen.

Notwendigkeit der Einzelfallprüfung

Mit Blick auf die Komplexität der Problematik scheidet jede Schematisierung aus und es bedarf stets einer Einzelfallprüfung. In diese ist das Alter der Schwangeren (Nähe zur Volljährigkeit – hier 16 Jahre) ebenso einzubeziehen wie ihre Fähigkeit zu einem selbstständigen verantwortungsbewussten Handeln. Deren Bewertung wird sich auch daran messen lassen, wie ernsthaft und intensiv sich die Minderjährige – auch durch Gespräche mit Beratungsstellen – zu sämtlichen Aspekten sowohl mit Blick auf die Geburt des Kindes als auch eines Abbruchs der Schwangerschaft auseinandergesetzt hat.