Impfschutz oder kein Impfschutz?

Viele Eltern sind sich einig, ihre Kinder gegen Tetanus oder Masern impfen zu lassen oder auch nicht. Doch was passiert, wenn die Eltern sich über den Impfschutz streiten. In einem aktuellen Fall waren die nichtehelichen Eltern für ihre fünfjährige Tochter gemeinsam sorgeberechtigt. Diese lebt bei der Mutter.

Der Vater befürwortet die Durchführung der altersentsprechenden Schutzimpfungen, die durch die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) empfohlen werden. Die Mutter ist der Meinung, das Risiko von Impfschäden wiege schwerer als das allgemeine Infektionsrisiko. Wenn Impfschäden mit Sicherheit ausgeschlossen werden könnten, könne sie eine anlassunabhängige Impfung ihrer Tochter befürworten.

Das Familiengericht Erfurt hat dem Vater das Entscheidungsrecht über die Durchführung von Impfungen übertragen. Das OLG Jena hat die Entscheidungsbefugnis des Vaters auf Schutzimpfungen gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Pneumokokken, Rotaviren, Meningokokken C, Masern, Mumps und Röteln beschränkt. Diese Entscheidung wurde vom obersten Familiengericht, dem Bundesgerichtshof (BGH), bestätigt.

Das Familiengericht ist berechtigt, wenn sich die Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit,  deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil zu übertragen.

Die Durchführung von Schutzimpfungen stellt keine alltägliche Angelegenheit dar, die in die Entscheidungsbefugnis des Elternteils fiele, bei dem sich das Kind aufhält, sondern eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind. Bei Impfungen handelt es sich bereits nicht um Entscheidungen, die als Alltagsangelegenheiten häufig vorkommen. Die Entscheidung, ob das Kind während der Minderjährigkeit gegen eine bestimmte Infektionskrankheit geimpft werden soll, fällt im Gegensatz zu Angelegenheiten des täglichen Lebens regelmäßig nur einmal an. Sowohl das durch eine Impfung vermeidbare und mit möglichen Komplikationen verbundene Infektionsrisiko als auch das Risiko einer Impfschädigung belegen die erhebliche Bedeutung.

Der BGH hat den Vater als besser geeignet angesehen, um über die Durchführung der aufgezählten Impfungen des Kindes zu entscheiden. Es hat hierfür in zulässiger Weise darauf abgestellt, dass der Vater seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientiert. Diese Impfempfehlungen sind vom BGH bereits als medizinischer Standard anerkannt. Da keine einschlägigen Einzelfallumstände wie etwa beim Kind bestehende besondere Impfrisiken vorliegen, kann auf die Impfempfehlungen als vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgegriffen werden. Die von der Mutter erhobenen Vorbehalte, die aus ihrer Befürchtung einer „unheilvollen Lobbyarbeit von Pharmaindustrie und der Ärzteschaft“ resultieren, sind kein Argument, von einer Impfempfehlung Abstand zu nehmen.

Autor dieses Beitrages ist Rechtsanwalt Henning Gralle, zugleich Fachanwalt für Familienrecht.