Gemeinsame elterliche Sorge: Antrag des Vaters schon vor der Geburt des Kindes zulässig

Bei der Geburt ehelicher Kinder sind beide Elternteile berechtigt, die elterliche Sorge für ihr Kind gemeinsam auszuüben. Sind die Eltern nicht miteinander verheiratet, steht der Kindesmutter die elterliche Sorge zunächst allein zu. Neben einer gemeinsamen Sorgeerklärung gegenüber dem Jugendamt oder dem Notar sowie einer Hochzeit hat der Kindesvater auch die Möglichkeit, beim Familiengericht einen Antrag auf Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge zu stellen.

Aktueller Fall

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat in einer aktuellen Entscheidung (Aktenzeichen 11 UF 253/19) festgestellt, dass auch vor der Geburt des Kindes eine gerichtliche sorgerechtliche Entscheidung möglich ist.

Das OLG hat dabei eine Entscheidung des Familiengerichts der ersten Instanz (Amtsgericht) bestätigt. Das Amtsgericht hatte 14 Tage vor der Geburt des Kindes in das elterliche Sorgerecht eingegriffen und den Eltern die Sorge für wesentliche Bereiche der elterlichen Sorge (hier Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmungsrecht) entzogen.

Die Mutter durfte ihren Sohn einige Stunden nach der Geburt bei sich behalten. Dann wurde er vom Jugendamt in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht. Die Mutter wurde psychologisch betreut. Umgangskontakte zwischen dem inzwischen geborenen Kind und seinen Eltern finden zweimal in der Woche statt.

Sorgeentscheidung vor Geburt

Das Besondere an dieser Entscheidung: bisher war es einhellige Auffassung, dass die elterliche Sorge erst mit der Geburt, also nicht bereits zuvor, entzogen werden kann. Solange das Kind noch nicht geboren ist, liegt ein wirksamer Sorgerechtsentzug dementsprechend noch nicht vor. Mit der Geburt des Kindes entfaltet der vorgeburtliche Sorgerechtsentzug jedoch Wirkung und hat formell Bestandskraft. Die Rechtsprechung ist überwiegend der Ansicht, dass ein vorgeburtlicher Sorgerechtsentzug erst mit der Geburt wirksam werde, alles andere sei eine verfassungsrechtlich nicht statthafte sogenannte „Vorratsentscheidung“.

Das OLG teilt diese Auffassung nicht, es sieht vielmehr eine Parallele zur gemeinsamen Sorgeerklärung der nicht miteinander verheirateten Eltern.

Hauptpunkt der Entscheidung

Obwohl das Sorgerecht vor der Geburt des Kindes noch nicht entstanden ist, kann die Sorgeerklärung gemäß § 1626b Absatz 2 BGB bereits vorgeburtlich abgegeben werden. Analog hierzu muss eine vorgeburtliche Sorgerechtsentscheidung möglich sein, die mit der Geburt des Kindes Wirkung entfaltet.

Keine politische Mehrheit für gemeinsame Sorge

Als Ende 2019 eine eigens im Bundesministerium der Justiz (BMJV) eingesetzte Arbeitsgruppe zum einstimmigen Ergebnis kam, dass unverheiratete Väter, deren Vaterschaft rechtlich anerkannt ist, mit Geburt des Kindes wie die Mutter automatisch sorgeberechtigt sein sollen, hätte niemand daran gedacht, dass sich das Ministerium über dieses Votum von acht Experten des Familienrechts hinwegsetzen würde.

Doch genau dazu ist es gekommen. Das BMJV hat vorgeschlagen, kein automatisches Sorgerecht für unverheiratete Väter vorzusehen, sondern die gemeinsame Sorge weiterhin an die Zustimmung der Mutter zu knüpfen. Weigert sich diese, soll der Vater wohl auch künftig den Weg übers Familiengericht gehen und einen Antrag auf gemeinsame Sorge stellen müssen. Das Familiengericht prüft dann, ob die gemeinsame Sorge dem Wohl des Kindes entspricht.