Der Wille eines fast zehnjährigen Kindes ist zu beachten

Rund ein Drittel der Ehen in Deutschland wird geschieden, etwa 35 % der Kinder werden unehelich geboren. Im Falle der Trennung der Eltern ist durch die Familiengerichte über das Sorgerecht zu entscheiden, wenn die Eltern zu Fragen des Aufenthalts des Kindes, zu Gesundheitsfragen oder Vermögensangelegenheiten in Streit geraten. Bei Sorgerechtsregelungen hat sich die gerichtliche Entscheidung am Kindeswohl zu orientieren. Dieser unbestimmte Begriff des Kindeswohls wird in der Rechtsprechung präzisiert: neben der Kontinuität (insbesondere zum Aufenthaltsort), der Förderungskompetenz der Eltern und den Bindungen des Kindes fließt in die Bewertung des Gerichts auch der Kindeswille ein, da das Kind selbst Grundrechtsträger ist mit dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Mit zunehmendem Alter des Kindes gewinnt der geäußerte Wille eine entsprechend stärkere Bedeutung.

Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer vor wenigen Wochen mitgeteilten Entscheidung (Aktenzeichen BvR 1914/17) mit einer sorgerechtlichen Frage für ein fast zehnjähriges Kind beschäftigt und bestätigt, dass ab dem vollendeten dritten Lebensjahr das Kind anzuhören sei. Daneben bestehe die Möglichkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistandes (Anwalt des Kindes) sowie weitergehend auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Es bleibe, so das Verfassungsgericht in Karlsruhe, Aufgabe der Gerichte, von Amts wegen die notwendige Kindeswohlprüfung vorzunehmen und die juristisch nicht zu bewertenden Fragen gegebenenfalls durch einen Sachverständigen klären zu lassen.

Neben dem Risiko einer Manipulation des Kindes müsse auch ein möglicher Loyalitätskonflikt beachtet werden. Der Stabilität des geäußerten Kindeswillens müsse besondere Bedeutung gewidmet werden, Feststellungen zur Bedürfnislage des Kindes seien zutreffend, ebenso Feststellungen dazu, welche Faktoren für diese Bedürfnisse ausschlaggebend seien. Der subjektiv geäußerte Kindeswille sei nicht automatisch mit dem objektiven Kindeswohl vereinbar.

Autor dieses Beitrages ist Rechtsanwalt Henning Gralle, Oldenburg, zugleich Fachanwalt für Familienrecht: nähere Infos unter: www.fachanwalt-gralle.de