Keine Gefährdung des Kindeswohl bei Förderdefizit

14-jähriges Mädchen bleibt bei Mutter

Die Möglichkeit, dass ein allein betreuender Elternteil eines schwer behinderten Kindes zukünftig ausfällt, stellt keine gegenwärtige Kindeswohlgefährdung dar.

Tochter mit früh- kindlichem Autismus

Die vorbeugende Fremdunterbringung in einer Einrichtung ohne konkreten Anlass rechtfertigt nicht den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und der Gesundheitsfürsorge.

Zum Fall: Das Familiengericht der 1. Instanz hatte der alleinsorgeberechtigten Mutter Teile der elterlichen Sorge entzogen, um eine Unterbringung ihres 14-jährigen Kindes zu erreichen. Das Kind leidet unter frühkindlichem Autismus und hat einen sehr hohen Betreuungs- und Förderbedarf. Die Mutter werde langfristig nicht in der Lage sein, die Betreuung und Versorgung ohne Gefahr für das Wohl des Kindes sicherzustellen, so das Familiengericht. Die Mutter könne künftig nicht ausreichend auf das Kind einwirken.

Optimale Förderung nicht erzwingen

Das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig (Aktenzeichen 2 UF 222/22) sah dies anders und hat in einer aktuellen Entscheidung vom Dezember 2022 beschlossen, dass die elterliche Sorge bei der Mutter verbleibt. Die Möglichkeit, dass ein allein betreuender Elternteil eines schwer behinderten Kindes zukünftig ausfalle, stelle keine gegenwärtige Kindeswohlgefährdung dar. Die vorbeugende Fremdunterbringung zum Zwecke einer frühzeitigen Eingewöhnung in einer Einrichtung ohne konkreten Anlass rechtfertige nicht den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und der Gesundheitsfürsorge. Auch der Vorwurf, dass das Kind nicht die bestmögliche Förderung erhalte, begründe keine Gefährdung des Kindeswohls.

Mutter und Schule als Förderer

Sowohl die Mutter als auch die umfassende Betreuung des Kindes in der Schule stellten sicher, dass die unverzichtbaren Bedürfnisse des Kindes gewährleistet würden. Eingriffe in das Sorgerecht, um eine optimale Förderung zu erzwingen, sind hingegen vom Kinderschutzrecht nicht erfasst. Das OLG hat ferner festgestellt, dass die Unterbringung des Kindes zum jetzigen Zeitpunkt seine Gesamtsituation nicht verbessern würde, da die psychische Belastung durch die Trennung von der Mutter und seinem bekannten Umfeld schwer wiege.

Pflegefamilie statt Elternhaushalt – Familiengericht sieht Vernachlässigung

Eine Trennung des Kindes von seiner Familie gegen den Willen der sorgeberechtigten Eltern ist erst dann zulässig, wenn das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht, dass das Kind bei einem Verbleiben in oder einer Rückkehr in die Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist.

Aktuell hat das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig festgestellt, dass bei den Eltern von mangelnder Erziehungseignung auszugehen sei, wenn die Kinder im Haushalt hochgradig vernachlässigt würden und unzweifelhaft vorhandene Schädigungen auf physische Entbehrung und fehlende emotionale Zuwendung zurückzuführen seien (Entscheidung vom 14. Oktober 2021, Aktenzeichen 2 UF 74/21).

Konkrete Verfehlungen

Fünf Kinder im Alter zwischen fünf und elf Jahren lebten mit ihren Eltern in einem Haushalt. Nach wiederholten Jugendamts-Meldungen und diversen Polizeieinsätzen wurden die Kinder in Obhut genommen. Es sei festgestellt worden, dass die Kinder nicht ausreichend mit Essen versorgt sein. Auch hätten die Eltern es nicht geschafft, die Kinder vor Krankheiten zu schützen, der regelmäßige Schulbesuch sei nicht sichergestellt. Es kam zu Klassenwiederholungen. Die jüngeren Kinder sind entwicklungsverzögert. Ein Kindergarten-Besuch wurde abgelehnt.

Die inhaltliche Tiefe als auch der Umfang der elterlichen Verfehlungen rechtfertigen vorliegend eine Unterbringung in einer Pflegefamilie. Es hätte sich in den ersten Monaten bereits gezeigt, dass sich alle Kinder in Wohngruppen und Erziehungsstellen gut eingelebt hätten. Ein milderes Mittel als die Fremdunterbringung sei nicht ersichtlich, da bei den Eltern eine Bereitschaft zur Mitarbeit nicht festzustellen sei.

Im Ergebnis begründet das OLG, dass eine erhebliche Gefahr bei der Entwicklung der Kinder festzustellen sei. Dies beruhe auch auf konkreten Verdachtsmomenten und nicht nur auf abstrakten Gefahren.

Mildere Mittel nicht erkennbar

Die Familienrichter waren auch in der zweiten Instanz der Auffassung, dass die im Gesetz möglichen Einzelmaßnahmen wie die Entziehung der Elternrechte im Bereich der Gesundheitsfürsorge, der Schulangelegenheiten sowie des Aufenthaltsbestimmungsrechts erforderlich und angemessen waren.

Fazit: Zwar ist durch das Grundgesetz garantiert, dass die Pflege und Erziehung der Kinder frei von staatlichen Einflüssen ist. Bei einer Kindeswohlgefährdung kann das Familiengericht im Rahmen seiner Wächterfunktion Maßnahmen ergreifen, die bis zur Herausnahme eines Kindes aus der Familie reichen können.

Boosterimpfung von Alleinsorge umfasst

Auch über die Auffrischungsimpfung darf die Mutter alleine entscheiden

Die Eltern eines 13-jährigen gemeinsamen Sohnes sind sich nicht einig, ob ihr minderjähriges Kind gegen Corona geimpft werden soll oder nicht. Die Kindesmutter ist für eine Impfung, der Kindesvater dagegen. Die Eltern sind gemeinsam sorgeberechtigt.

Das Oberlandesgericht (OLG) München hat in zwei grundsätzlichen Entscheidungen vom September und nunmehr Ende Oktober 2021 zugunsten der Kindesmutter entschieden, da diese den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) folgt und das gemeinsame Kind impfen lassen will.

Alleinsorge auch für Booster-Impfung

Das OLG hat nunmehr (Aktenzeichen 26 UF 928/21) am 18. Oktober 2021 entschieden, dass das Recht, das eigene Kind mit einem von der STIKO empfohlenen Impfstoff impfen zu lassen auch für künftige Auffrischung und Folgeimpfungen gelte.

Die Entscheidung über die Verabreichung von Impfungen ist einheitlich zu treffen und umfasst nicht nur Erst- und Zweitimpfungen gegen Covid-19 für alle zwölf bis 17-jährigen Kinder. Dieses gelte umso mehr, als dass das 13-jährige Kind die erste Impfung vom August 2021 und die zweite Impfung vom September 2021 gut verkraftet habe. Nebenwirkungen oder Komplikationen ergaben sich nicht.

Die Familienrichter haben keine Veranlassung, die Empfehlungen der STIKO anzuzweifeln. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese Expertenkommission auch und gerade bei der Impfung gegen Corvid-19 eine sorgfältige Prüfung angestellt und unter Abwägung aller sachverständigen Erkenntnisse die entsprechende Impfung für Kinder im Alter von 12-17 Jahren ausgesprochen hat.

Arzt entscheidet

Im Übrigen liegt die Verantwortung letztendlich bei den Ärzten, die die Impfungen in Anbetracht der konkreten Risiken für das Kind in Anbetracht dessen Vorerkrankungen durchführen oder nicht.

Im Ergebnis umfasst die Übertragung der elterlichen Sorge für diesen Einzelbereich der Gesundheitsfürsorge auf die Kindesmutter dem Wohle des Kindes am besten, sodass auch für Booster-Impfungen die Kindesmutter Entscheidungen ohne Zustimmung des Kindesvaters treffen kann.

Vater darf mit Sohn gegen den Willen der Mutter verreisen

14 Tage USA-Urlaub möglich

Eine zweiwöchige USA-Reise eines sechsjährigen Kindes zum Besuch der dort lebenden Großeltern ist keine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung.

Die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern schließen im Umgangsverfahren eine Vereinbarung zu den laufenden Kontakten des Antragstellers mit dem gemeinsamen sechsjährigen Sohn. Der Vater als amerikanischer Staatsangehöriger will mit seinem Sohn in den Sommerferien in die USA verreisen, die Kindesmutter hat dem nicht zugestimmt.

Das Familiengericht Leipzig gab der Mutter zunächst Recht: das Kind bleibt hier. Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden hat jedoch dem Vater einen Ferienumgang für die Dauer von 14 Tagen zur Durchführung der Reise in die USA zugebilligt, (OLG Dresden vom 25. Juni 2021, Aktenzeichen 21 UF 350/21).

Familienkontakte dienen Kindeswohl

Sowohl der 14-tägige Ferienumgang im Juli 2021 als auch der damit verbundene Besuch der Großeltern entspreche dem Kindeswohl, da es die geistig-seelische Entwicklung des Kindes fördere, wenn es Umgang mit möglichst vielen Personen der Familie pflege. Besonders bleibt zu beachten, dass sich die Großeltern bereits in sehr fortgeschrittenem Alter befänden und nach dem Vorbringen des Vaters die Reise nach Deutschland nicht mehr antreten könnten. Die Großmutter sei dem Kind aus früheren Besuchen in Deutschland bekannt. Durch den Ferienbesuch könnten die Kontakte zwischen Großmutter und Enkelsohn vertieft werden.

Fraglich ist vorliegend, ob beide Eltern der Reise zustimmen müssen oder der Kindesvater während seiner Besuchszeit in der Gestaltung der Umgangskontakte frei ist. Nach Ansicht des OLG Dresden handelt es sich bei der geplanten Reise nicht um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung. Grundsätzlich gelte dies für Reisen nur, wenn es sich um Fernreisen in das außereuropäische Ausland handele, sie in ein politisches Krisengebiet führten (Syrien oder Afghanistan) oder es für den Urlaubsort Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes gebe. Dies gelte für den konkreten Fall nicht. Trotz der fortbestehenden Pandemie überwiegten die Vorteile der Reise die damit verbundenen Nachteile. Eine Reisewarnung für die USA habe nicht bestanden. Folglich kann der Vater den Umgang selbst gestalten und zwischen Urlauben in den USA, im Oberharz oder an der Ostsee selbst entscheiden.

Der Vater kann frei entscheiden

Dem Vater und dessen Sohn drohten gegenwärtig weder in den USA noch in Deutschland eine Quarantäne-Pflicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind nach Ablauf des Ferienumgangs nicht nach Deutschland zurückkehren könne und dadurch sein seelisches Wohl beeinträchtigt werde, sei als gering zu beurteilen.

Bei der Dauer des Umgangskontakts sei zu berücksichtigen, dass es in der Vergangenheit nur einen einwöchigen Ferienumgang gegeben habe, so dass eine zweiwöchige Reise angemessen sei. Eine Überforderung des Kindes durch die Dauer des Umgangs, der auch die erforderlichen Flugzeiten einschließe, sei daher nicht zu befürchten. Der Vater gehe mit dem Kind liebevoll um und stehe mit der Kindesmutter auch während des USA-Aufenthalts in Kontakt.

Fazit: Während des Aufenthalts des Kindes bei einem Elternteil bedarf es für Umgangszeiten keine Zustimmung des anderen Elternteils über die konkrete Gestaltung. Eine Grenzziehung erfolgt in der Rechtsprechung dann, wenn die beabsichtigte Reise dem Kindeswohl entgegensteht, davon ist insbesondere bei Reisen in politische Krisengebiete auszugehen.

Unverheiratete Kindesmutter muss nicht Vollzeit arbeiten

Kinderbetreuung: 3/4 –Stelle reicht aus

Die Kindeseltern sind nicht verheiratet, das Kind lebt seit der Geburt bei der Kindesmutter, nachdem die Eltern sich getrennt haben. Bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres des Kindes besteht eine Unterhaltsverpflichtung des Vaters. Denn mit der Einführung dieses Basisunterhalts bis zum 3. Geburtstag hat der Gesetzgeber dem betreuenden Elternteil die freie Entscheidung eingeräumt, ob er das Kind in ersten drei Lebensjahren in vollem Umfange selbst betreut oder andere Betreuungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen will. Es besteht keine Erwerbsobliegenheit.

Basisunterhalt nur bis zum 3. Geburtstag

Doch was ist nach dem 3. Geburtstag? Der Unterhaltsanspruch verlängert sich, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht. Hierzu hat das Oberlandesgericht (OOLG) Köln vor wenigen Wochen folgendes entschieden:

Die Mutter eines 5-jährigen Kindes, welches wöchentlich 45 Stunden in einer Tagesstätte betreut wird, genügt ihrer Erwerbsobliegenheit mit einer ¾-Stelle, wenn ihr wegen der erforderlichen Fahrzeiten zum Arbeitsplatz während der vom Betreuung des Kindes die Ausübung einer 40-Stunden-Arbeitswoche nicht möglich ist.

Denn mit der Vollendung des 3. Lebensjahres soll dem Elternteil kein abrupter Wechsel von der elterlichen Betreuung zu einer Vollzeit-Tätigkeit verlangt werden. Ein gestufter Übergang ist wünschenswert.

Einklang zwischen Betreuung und Arbeit

Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein fünfjähriges, altersentwickeltes Kind ohne Entwicklungsdefizite. Unter Berücksichtigung von Fahrzeiten zum Arbeitgeber und einer Homeoffice-Tätigkeit sieht das OLG eine wöchentliche Arbeitszeit von rund 30 Stunden als angezeigt an. Das Kind besucht den Kindergarten 9 Stunden von Montag bis Freitag. Die Kindesmutter, so das Gericht, habe dann bei einer Betreuungszeit im Kindergarten von durchschnittlich 9 Stunden täglich die Möglichkeit, fünf bis sieben zu arbeiten, rund einer Stunde verbleibe dann täglich für Freizeitgestaltung zuzüglich Fahrzeit von insgesamt einer Stunde zwischen Wohnung und Arbeit an den Office-Tagen (Beschluss vom 1. März 2021, Aktenzeichen 25 UF 147/20 ).

Der Kindesmutter ist auch zuzubilligen, dass sie Arztbesuche ohne Begleitung ihres Sohnes wahrnimmt. Eine Entlastung durch den Kindesvater, der jeglichen Umgangskontakt mit dem Sohn ablehnt, findet auf Seiten der Kindesmutter nicht statt.

Ergebnis:

Auch nach dem drei Geburtstag des Kindes steht dem betreuenden Elternteil aus Gründen, die den Elternteil betreffen, wie hier, oder die das Kind betreffen (Fremdbetreuung nicht gesichert oder gesundheitliche Einschränkungen beim Kind) ein Unterhaltsanspruch gegenüber dem anderen Elternteil zu. Dabei ist der Anspruch der Mutter darauf beschränkt, was sie ohne die Geburt verdienen würde. Der Selbstbehalt des Vaters liegt bei 1280 €.

Wegen Corona-Impfung: Teilsorgerecht für Befürworter

Kindesmutter gegen Covid-Imfpung – Vater entscheidet

Auch bei vorhandener Einwilligungsfähigkeit in eine Corona-Schutzimpfung bei einem 16-jährigen Kind bedarf es der Übereinstimmung mit beiden Eltern. Können diese sich in dieser Frage nicht einigen, ist die Entscheidung über die Durchführung der Corona-Impfung bei einer vorhandenen Empfehlung der Impfung durch die STIKO und bei einem die Impfung befürwortenden Kindeswillen auf denjenigen Elternteil zu übertragen, der die Impfung befürwortet.

Mutter: Impfung ist „Gentherapie“

Der konkrete Fall: Die geschiedenen Eltern eines 2005 geborenen Kindes üben gemeinsam die elterliche Sorge aus. Bei dem fast 16-Jährigen liegt gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch Institut (STIKO) aufgrund von Vorerkrankungen eine eindeutige medizinische Indikation für eine Impfung gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 mit einem mRNA-Impfstoff vor. Vater und Kind befürworten eine Impfung, die Mutter ist damit nicht einverstanden und bezeichnet die Impfung als „Gentherapie“.

Zunächst stellt das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt fest, dass die Entscheidung über die Durchführung einer Impfung gegen das Corona Virus eine derartige Angelegenheit von erheblicher Bedeutung sei und kein Geschäft des täglichen Lebens (Aktenzeichen 6 UF 120/21, Beschluss vom 17.08.2021).

Die Entscheidungsbefugnis sei demjenigen Elternteil zu übertragen, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der STIKO befürworte, soweit – wie vorliegend – bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorlägen. Bereits zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung habe eine Empfehlung der STIKO für eine COVID-19 Impfung als Indikationsimpfung für Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf (hier: Adipositas) der COVID-19 Erkrankung bestanden. Daher komme es gar nicht darauf an, dass sich die STIKO am 16.08.2021 nunmehr für Corona-Impfungen aller Kinder und Jugendlichen von mindestens 12 Jahren ausgesprochen habe.

16 Jähriger befürwortet Impfung

Zudem, so das OLG, sei nach § 1697a BGB auch der Kindeswille zu beachten. Dies gelte jedenfalls dann, wenn das Kind sich im Hinblick auf sein Alter und seine Entwicklung auch eine eigenständige Meinung zum Gegenstand des Sorgerechtsstreits bilden könne. Es stehe außer Frage, dass der 16-Jährige aufgrund seines Alters und seiner Entwicklung im Stande sei, sich eine eigene Meinung über den Nutzen und die Risiken der Corona-Schutzimpfung zu bilden. Insofern spreche auch die Rücksichtnahme auf den Willen des Kindes bei sorgerechtlichen Entscheidungen vorliegend für die bessere Entscheidungskompetenz des Kindesvaters.

Im Ergebnis hat das OLG für diesen Teilbereich der Personensorge dem Kindesvater aufgrund dessen Befürwortung der Corona-Impfung das alleinige Entscheidungsrecht übertragen.

Kindesmutter darf mit minderjährigen Kindern auswandern

Wegen neuer Liebe: Finnland statt Wesermarsch

Eine junge Mutter aus der Wesermarsch lernt einen neuen Partner kennen, der im Westen Finnlands lebt. Mit den beiden minderjährigen Kindern hatte sie die Stadt in Finnland und den neuen Freund mehrfach besucht und nach reiflicher Überlegung die Entscheidung getroffen, mit den Kindern die Heimat zu verlassen und Richtung Norden zu ziehen. Der geschiedene Ehemann und Kindesvater war mit dem Wechsel ins Ausland nicht einverstanden und der Auffassung, die Tragweite eines Wohnortwechsels in das Ausland könne die Mutter nicht übersehen. Auch er sei in der Lage, die Kinder bei sich aufzunehmen.

Wille der Kinder eindeutig

Das Familiengericht Brake hat in einer aktuellen Entscheidung der Kindesmutter das Recht zugesprochen, mit den beiden Kindern nach Finnland umziehen zu dürfen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass nicht nur die Kindesmutter, sondern auch die beiden Kinder im Alter von 10 und 14 Jahren deutlich gemacht hätten, in Finnland einen „Neuanfang“ starten zu wollen. Die Kinder hätten in Finnland bereits Freundschaften geschlossen, und mit dem neuen Lebensgefährten der Kindesmutter kämen sie gut zurecht.

Ferner, so das Familiengericht (Entscheidung zum Aktenzeichen 5 F 208/20 SO vom Juni 2021), bestünde die Beziehung bereits 3 Jahre und sei daher als gefestigt anzusehen und nicht nur vorübergehender Natur. Die Kindesmutter konnte auch einen Arbeitsvertrag für eine Tätigkeit in Finnland vorlegen. Auch für die Kinder sei ein Schulwechsel vorgesehen und zeitnah ein Neubeginn im finnischen Schulbetrieb fest eingeplant.

Kulturelle und soziale Bereicherung

Das Familiengericht ist der Auffassung, dass der Ortswechsel für die beiden Kinder eine Bereicherung, insbesondere in sozialer und kultureller Hinsicht, darstellen könnte. Die Kinder hätten einen klar orientierten Willen geäußert, mit der Kindesmutter mitzugehen und nicht beim Kindesvater zu bleiben.

Den Kindern sei auch bewusst, dass sie ihren Vater lediglich in den Ferien sehen könnten. Beide Kinder, so das Familiengericht, hätten deutlich gemacht, dass ein Verbleib im Haushalt des Kindesvaters vor Ort mit enger Bindung an die jeweiligen Großeltern keine Alternative zu einem Wechsel mit der Kindesmutter nach Finnland darstellen würde. Im Laufe des rund einjährigen Verfahrens habe sich der Wille der Kinder verfestigt.

Unter diesem Gesichtspunkt, so das Gericht, hätten sich keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Umzug von der Wesermarsch nach Finnland einen negativen Einfluss auf die Kinder habe oder sogar eine Kindeswohlgefährdung darstellen könnte.

Fazit

Dem auswanderungswilligen Elternteil steht es frei, dort zu leben, wo er will. Im Ergebnis kommt es darauf an, ob ein Verbleib beim anderen Elternteil unter dem Gesichtspunkt der Kontinuität und Stabilität angezeigt ist oder ein wiederholter Wille und eine klare Perspektive der Kinder am neuen Wohnort wichtige Aspekte für die Entwicklung der Kinder sind.

Kindesmutter erhält Teilsorge für Impfmaßnahmen

Kommission empfiehlt Standardimpfung

Die Entscheidung über die Durchführung von Schutzimpfungen für ein gemeinsames Kind kann bei Uneinigkeit der Eltern auf den Elternteil übertragen werden, der seine Haltung an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommision STIKO orientiert. Über die allgemeine Impffähigkeit des Kindes muss unabhängig von einer konkreten Impfung kein Sachverständigengutachten eingeholt werden, da nach den Empfehlungen der STIKO die Impffähigkeit in der konkreten Impfsituation ärztlich zu prüfen ist und bei einer Kontraindikation zu unterbleiben hat. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main wies die Beschwerde eines Vaters zurück (Aktenzeichen 6 UF 3/21).

Impfen, wenn impffähig

Die Eltern eines dreijährigen Kindes üben gemeinsam die elterliche Sorge aus. Die Mutter möchte das Kind gemäß den Empfehlungen der STIKO impfen lassen. Der Vater ist damit nicht einverstanden und verlangt eine gerichtliche Prüfung der Impffähigkeit des Kindes. Die Mutter hat deshalb beantragt, ihr die Entscheidungsbefugnis über Standardimpfungen zu übertragen. Diesem Antrag hat das Amtsgericht stattgegeben, das OLG bestätigt die Regelung mit folgenden Argumenten:

Wenn sich Eltern in einer einzelnen Angelegenheit, die für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, kann auf Antrag die Entscheidung einem Elternteil übertragen werden. Die Entscheidung über die Durchführung von Schutzimpfungen sei eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung, stellt das OLG fest. Dabei sei die Entscheidungskompetenz dem Elternteil zu übertragen, „dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird“. Gehe es um eine Angelegenheit der Gesundheitssorge, sei die Entscheidung zu Gunsten des Elternteils zu treffen, der insoweit das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolge. Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis über Schutzimpfungen auf einen Elternteil könne grundsätzlich maßgeblich darauf abgestellt werden, „dass ein Elternteil Impfungen offen gegenübersteht und seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientiert, ohne dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf, wenn im Einzelfall kein Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht“.

STIKO-Rat entspricht grundsätzlich dem Kindeswohl

Es könne davon ausgegangen werden, „dass eine an den Empfehlungen der STIKO orientierte Entscheidung der Kindesmutter über vorzunehmende Impfungen im Ausgangspunkt das für das Kindeswohl bessere Konzept im Sinne der Rechtsprechung darstellt“, begründet das OLG. Bei der Abwägung zwischen Risiken im Fall einer Impfung und Risiken bei unterbleibender Impfung könne die Entscheidung auf den Elternteil übertragen werden, der den fachlichen Empfehlungen der STIKO folge. Diesen Empfehlungen komme die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu.

Der Sorge des Vaters um die körperliche Unversehrtheit des Kindes im Hinblick auf den Impfvorgang selbst trügen die Empfehlungen der STIKO ebenfalls Rechnung. Für den Impfvorgang werde von der STIKO eine am Kindeswohl orientierte Vorgehensweise mit im Einzelnen dargestellten Handlungsvorschlägen empfohlen. Dass diese Empfehlungen vorliegend unzureichend seien, sei nicht ersichtlich.

Ausblick:

Auch für mögliche Corona-Impfungen für Kinder unter 16 dürfte die Empfehlung der Kommission ausschlaggebend sein, ob einem Elternteil bei unterschiedlicher Auffassung zum anderen Elternteil die entsprechende Teilsorge für diesen Gesundheitsbereich übertragen wird.

Eltern haben kein Recht, ein Maskenverbot zu fordern

Die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung für Schulkinder rechtfertigt keine kinderschutzrechtlichen Maßnahmen durch das Familiengericht gemäß § 1666 BGB. Denn die Maskenpflicht begründet keine Kindeswohlgefährdung. Dies hat das Amtsgericht Wittenberg in einem Urteil am 8. April 2021 entschieden.

Mütter befürchteten mögliche Gefährdung

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: An einer Grundschule in Sachsen-Anhalt mussten die Schulkinder seit März 2021 während des Präsenzunterrichts eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen. Die Mutter zweier Kinder, welche die Grundschule besuchten, befürchtete durch die Maskenpflicht eine mögliche Gefährdung der Kinder.

Die Kindesmutter verlangte daher vom Amtsgericht Wittenberg, kinderschutzrechtliche Maßnahmen zu prüfen und in diesem Zusammenhang gleichzeitig die Rechtmäßigkeit der Maskenpflicht zu überprüfen.

Gericht: Keine Kindeswohlgefährdung durch Maskenpflicht

Das Amtsgericht Wittenberg (Aktenzeichen 5 F 140/21 EASO) lehnte die Ergreifung kinderschutzrechtlicher Maßnahmen nach § 1666 BGB ab.

Unabhängig davon, dass das Familiengericht nicht die Rechtmäßigkeit der Maskenpflicht überprüfen dürfe und Zweifel daran bestehen, ob die Vorschrift des § 1666 BGB in diesem Fall überhaupt Anwendung finden könne, hielt das Gericht eine Kindeswohlgefährdung in dem Fall für nicht gegeben.

Zunächst stellt das Familiengericht fest: Aus den aktuellen Infektionszahlen wird insgesamt deutlich, dass auch für Grundschulkinder bei einer eigenen Infektion ein zwar im Vergleich zu Erwachsenen geringeres, aber gleichwohl konkretes und nicht nur völlig unerhebliches Risiko einer schwerwiegenden Erkrankung droht. Da es auch bereits zu Todesfällen gekommen ist, begründet auch die vergleichsweise eher geringe Eintrittswahrscheinlichkeit die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen.

Maskenpflicht von Lehrer zu prüfen

Aber: Es steht nach Überzeugung des Wittenberger Gerichts fest, dass mit dem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in der Schule bei sachgemäßer, durch das Lehrpersonal angeleiteten und überwachten Anwendung, keine erhebliche Gefahr für das körperliche, seelische oder geistige Wohl der Kinder einher geht. Daher besteht nach Ansicht des Gerichts, unabhängig von der Rechtsgrundlage, keinerlei Anlass zu einem Einschreiten in diese Richtung.

Es verhält sich insoweit nicht anders als mit der Anordnung gegenüber den Kindern seitens des Lehrpersonals, bei kühleren Temperaturen auf dem Pausenhof zum Schutz vor Erkältungskrankheiten eine Jacke und einen Schal zu tragen.

Im Ergebnis hat sich durch das Urteil zudem herausgestellt, dass jedenfalls das örtliche Familiengericht für die Abwendung von Corona-Schutzmaßnahmen gegenüber Kindern nicht zuständig sein dürfte.

Masernimpfung dient in der Regel dem Kindeswohl

Impfvorteile überwiegen Impfrisiko

Wer entscheidet, welche altersentsprechende Standardimpfungen durchgeführt werden? Vater oder Mutter?

Nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Instituts zählen Impfungen gegen Rotaviren, Masern, Mumps, Röteln, Windpocken, Pneumokokken, Meningokokken, Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten, Polio, Hib und Hepatitis B zu den Standradimpfungen.

Das Familiengericht im hessischen Dieburg hat Anfang Dezember vergangenen Jahres über folgende Problematik entschieden (Aktenzeichen 51 F 308/20 SO): die Eltern eines zweijährigen Sohnes streiten um die Durchführung der Standardschutzimpfungen für ihr Kind. Die Kindeseltern sind nicht verheiratet, üben jedoch aufgrund einer gemeinsamen Sorgeerklärung die elterliche Sorge gemeinsam aus. Die Kindeseltern leben getrennt, der Sohn hat seinen Lebensmittelpunkt bei der Kindesmutter, die  das Kind impfen lassen will, und zwar nach den Empfehlungen der STIKO. Mit drei Jahren soll der Sohn spätestens in den Kindergarten gehen, dort wird er jedoch nur aufgenommen, wenn er eine Masernimpfung vorweisen kann.

Der Kindesvater beantragt die Abweisung des Antrages. Er halte nichts von Impfungen. Es gäbe Studien, dass geimpfte Kinder genauso oder sogar öfter krank würden als nicht geimpfte Kinder. Außerdem gäbe es keine Versicherung für Impfschäden.

Das Familiengericht betont, dass der Nutzen der streitgegenständlichen Impfungen das Impfrisiko überwiege. Die Impfempfehlungen der STIKO sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als medizinischer Standard anerkannt worden. Die STIKO hat als sachverständiges Gremium die Aufgabe, Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen und anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe übertragbarer Krankheiten zu geben und Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung zu entwickeln. Zweck des Infektionsschutzes ist es, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Impfungen dienen demnach dem Wohl des Einzelnen im Hinblick auf eine mögliche Erkrankung und in Bezug auf die Gefahr einer Weiterverbreitung dem Gemeinwohl. Auch mit dem letztgenannten Aspekt haben sie einen Bezug zum Schutz des individuellen Kindeswohls, weil das Kind – wenn es etwa noch nicht im impffähigen Alter ist – von der Impfung anderer Menschen, insbesondere anderer Kinder, und der damit gesenkten Infektionsgefahr profitiert.

Die Behauptungen des Kindesvaters alleine vermögen bei dem Gericht keine Zweifel an der Einschätzung der STIKO hervorzurufen.

Dies hat zur Folge, dass das Familiengericht der Kindesmutter die alleinige Befugnis übertragen hat, über Impfmaßnahmen ohne Zustimmung und Mitwirkung des Kindesvaters zu entscheiden.