Kontinuität und Stabilität der Lebensverhältnisse entscheidend

4-jähriger Junge wechselt zum Vater

Die Eltern sind gemeinsam sorgeberechtigt, waren jedoch nicht verheiratet. Aus der Beziehung ist ein 4-jähriger Sohn hervorgegangen. Die Beziehung ist seit über 3 Jahren beendet, der Sohn lebt seitdem im Haushalt der Mutter und deren Großeltern. Der Sohn besuchte bisher weder eine Krippe noch ein Kindergarten und versteht und spricht die deutsche Sprache kaum. Beide Eltern arbeiten Vollzeit, der Kindesvater lebt in einer anderen Stadt.

Verwurzelung in der Region

Die Kindesmutter wollte im Herbst vergangenen Jahres den bisherigen Wohnort verlassen und mit dem Sohn zu ihrem neuen Freund ziehen. Der Vater war hiermit nicht einverstanden und der Auffassung, er habe zu seinem Sohn eine gute Bindung aufgrund regelmäßiger Umgangskontakte. Der Sohn sei in der Region fest verwurzelt und habe auch einen guten Kontakt zu der Großmutter.

Anfang August 2024 hat das Oberlandesgericht Frankfurt (Aktenzeichen 6 UF 117/24) entschieden, dass das Recht, über den Lebensmittelpunkt zu entscheiden (Aufenthaltsbestimmungsrecht), dem Kindesvater zu übertragen ist. Denn es entspreche dem Kindeswohl am besten, wenn der Sohn im Haushalt des Vaters aufwächst, da dort Kontinuität und Stabilität der kindlichen Lebensverhältnisse am besten gegeben sei. Der Haushalt des Vaters sei dem Sohn bekannt, er, der Sohn, würde sich offensichtlich in der Umgebung des Vaters wohlfühlen. Der Vater strebe den Besuch des Kindergartens für den Sohn an.

Nicht ausschlaggebend sei, dass die Kindesmutter während der vergangenen Jahre alle Arzttermine mit dem Sohn wahrgenommen habe.

Sprachdefizite und unsichere Zukunft

Obwohl die Mutter Hauptbezugsperson für das Kind sei, stelle der Wechsel in eine unbekannte Wohnung und Stadt zu einem erst seit kurzer Zeit bekannt neuen Freund der Kindesmutter Unwägbarkeiten dar, deren Entwicklung nicht konkret abgeschätzt werden könnten. Im Übrigen habe es die Kindesmutter in der Vergangenheit versäumt, ausreichend soziale Kontakte für den Sohn herzustellen. Das Oberlandesgericht und das Amtsgericht heben hervor, dass eine Unterhaltung mit dem Kind mangels Sprachkenntnissen nicht möglich war. Die Kindesmutter habe offensichtlich Spracherwerb und den Erwerb sozialer Kontakte vernachlässigt. Auch hier bietet der Kindesvater eine bessere Perspektive für den 4-jährigen.

Im Ergebnis sei es daher für das Wohl des Sohnes am besten, in der gewohnten Umgebung zu verbleiben, zumal es zur Kindesmutter und deren neuen Freund großzügige Umgangskontakte geben werde.

Verwandtenpflege für Großkind

Großmutter versorgt dreijährige Enkeltochter

Das Leben eines 3-jährigen Kindes kann mit Lebensumständen verbunden sein, die sich das Kind nicht wünscht. Die eigene Mutter leidet unter einer psychischen Störung und muss sich in Therapie begeben, der Kindesvater lebt schon gar nicht vor Ort und kümmert sich nicht um das Kind. Nachdem im elterlichen Haushalt wegen Zahlungsverzuges der Strom abgestellt wurde, wechselte das Kind zur Großmutter väterlicherseits. Die Großmutter bewohnt eine eigene Wohnung, dort leben auch drei eigene Söhne.

Das zuständige Jugendamt lehnte ein Verbleib bei der Großmutter ab mit dem Argument, dass im Falle des Verbleibs des Kindes im Haushalt der Großmutter infolge der massiven Konflikte zwischen Kindesmutter und Großmutter eine Gefährdung der kindlichen Entwicklung bestehe, die durch eine ambulante Familienhilfe mit Schutz- und Kontrollauftrag nicht abzuwenden sei. Aus fachlicher Sicht liege ein dysfunktionales Familiensystem vor, in dem ein Rollenkonflikt zwischen Kindesmutter und Großmutter massiven Raum einnehme. 

Trennung von Familiensystem?

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat in einer aktuellen Entscheidung vom 27. Mai 2024 (Aktenzeichen 6 UF 86/24) festgestellt: Das körperliche, geistige und seelische Wohl des betroffenen Kindes ist vorliegend bei einer Betreuung und Versorgung durch die Eltern konkret gefährdet. Die Art und Weise der Gefährdung macht eine Trennung des Kindes von den Eltern erforderlich, weil der Gefahr nicht durch andere öffentliche Hilfen begegnet werden kann. 

Großmutter kann Versorgung sicherstellen

Der Entzug des Sorgerechts für das Kind ist nicht gerechtfertigt, weil die Gefahr durch die von den Eltern unterstützte Unterbringung des Kindes im Haushalt der Großmutter väterlicherseits abgewendet werden kann. Denn wenn die Eltern mit der Unterbringung des Kindes bei seiner Großmutter einverstanden sind und das Kind dort nicht gefährdet ist, ist die Unterbringung des Kindes bei seiner Großmutter grundsätzlich besser geeignet. Eine spätere Wiederherstellung der elterlichen Familie, die stets vorrangiges Ziel der zum Schutz der Kinder zu ergreifenden Maßnahmen sein muss, ist dann besser vorzubereiten als die Unterbringung bei einer Bereitschaftspflegefamilie ohne ausreichenden Kontakt zu den Eltern und der Großmutter.

Sorgerechts-Entzug bei fehlender Hilfe

Eigene Tochter mit Zuckererkrankung alleingelassen

Zu einer guten Erziehung zählt auch die Unterstützung des eigenen Kindes im Falle dauerhafter Erkrankungen. Wenn es den Eltern nicht gelingt, ausreichend Unterstützung zu geben, droht der Entzug der elterlichen Sorge für den Bereich Gesundheit, wie nachfolgender Fall zeigt:

Die seit dem achten Lebensjahr an Zucker (Diabetes mellitus Typ 1) erkrankte inzwischen 12-jährige Tochter musste wegen medizinischer Fehlversorgungen im väterlichen Haushalt mehrfach mit lebensgefährlich erhöhten Werten versorgt werden. Sogar eine Krankenhaus-Behandlung war erforderlich. 

Krankenhaus-Aufenthalt

Das Oberlandesgericht Köln hat in einer aktuellen Entscheidung (Aktenzeichen 14 UF 180/22) festgestellt, dass eine Kindeswohlgefährdung vorliege. Die elterliche Sorge wurde dem Kindesvater entzogen, bei dem die Tochter überwiegend lebt. Der Kindesvater war während der Arbeitszeit in der Regel mindestens 11 Stunden täglich berufsbedingt abwesend. Die Tochter erhielt vom Vater keine Unterstützung bei dem täglichen Diabetesmanagement. Einen Aufenthalt des Kindes in einer psychosomatischen Klinik, von der Diabetologin dringend empfohlen, hat der Kindesvater abgelehnt. Bei der regelmäßigen Einnahme von Medikamenten sowie bei der Organisation von Rezepten und Hilfsmitteln bedürfe es trotz der Erfahrung des Kindes einer elterlichen Hilfestellung. Diese seien nicht erkennbar, auch nicht bei der Mutter.

Das Oberlandesgericht hat darauf hingewiesen, dass die Entziehung der elterlichen Sorge sowie die Übertragung von Maßnahmen zu Gesundheitsfürsorge auf einen Ergänzungspfleger sachgerecht sei. Der Ergänzungspfleger könne Krankenhaustermine vereinbaren, sich um Rezepte und Hilfsmittel kümmern und mit dem Kind auf die Blutwerte und sonstigen Probleme, insbesondere im Bereich der Kontrolle bei sportlichen Aktivitäten des Kindes, besprechen. 

Jedenfalls sei die Unterstützung durch einen Ergänzungspfleger in Anbetracht der Verfehlung des Kindesvaters während der vergangenen Jahre eine sachgerechte präventive Maßnahme, um weiteren Krankenhausaufenthalten aufgrund fehlerhafter Insulinbehandlung zu begegnen. Der Kindesvater habe in der Vergangenheit nicht aktiv an der Erhaltung der Gesundheit seiner Tochter mitgewirkt.

Kein aktives Mitwirken

In Anbetracht der konkret drohenden Gefährdung des Kindeswohls sei ein Entzug der elterlichen Sorge für den Teilbereich der Gesundheitsfürsorge sachgerecht. Wegen der darüber hinausgehenden Bereiche der elterlichen Sorge verbleibt es bei der Verantwortung der Eltern, zum Beispiel für Schulangelegenheiten, religiöse Fragen oder finanzielle Angelegenheiten.

Kein Sorgerechtsentzug bei versäumten U-Untersuchungen

Gesundheitsfürsorge bleibt bei Mutter 

Damit Kinder gesund aufwachsen sowie Krankheiten früh erkannt und behandelt werden können, bieten Krankenversicherungen die Untersuchungen zur Früherkennung (sogenannte U1- bis U9-Untersuchungen) in den ersten sechs Lebensjahren des Kindes an.

In einen aktuellen Fall aus Hessen hatte eine allein sorgeberechtigte Mutter diese Untersuchungen für ihre beiden Kinder versäumt. Das Familiengericht erster Instanz hatte der Kindesmutter daraufhin die Gesundheitsfürsorge entzogen und dem Jugendamt übertragen. Dies erfolgte jedoch zu Unrecht, wie nunmehr das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt in einer Entscheidung vom Mai feststellt (Aktenzeichen 4 UF 19/23).

Untersuchungen versäumt

Denn das Kinderschutzgesetz in Hessen verzichte auf eine zwangsweise Durchsetzung der Teilnahme an diesen Untersuchungen und begründe die lediglich den Auftrag an das zuständige Jugendamt, zu ergründen, ob möglicherweise Gefahren für das Kind aufgrund der fehlenden Untersuchungen möglich seien.

Das OLG sieht keine Kindeswohlgefährdung allein durch das Versäumen der Untersuchung. Erst wenn feststellbar sei, dass der Gesundheitszustand der Kinder auffällig sei, könnten weitere Prüfungsmaßnahmen in Betracht kommen. Im laufenden Verfahren konnte auch das Gericht keine Hinweise auf familiäre oder erzieherische Defizite feststellen. Familienrechtliche Maßnahmen schieden daher nach Auffassung des OLG aus.

Kein Eingreifen des Familiengerichts

Auch in Niedersachsen hat das Gesetz zur Früherkennungsuntersuchung zum Ziel, die Gesundheit von Kindern zu fördern und den Kinderschutz zu verbessern. Hierzu gibt es ein verbindliches Einladungs- und Meldewesen, seit 2010 werden die Eltern von in Niedersachsen lebenden Kindern zu den Untersuchungen U5 bis U8 eingeladen. Ein Zwang zur Teilnahme besteht jedoch nicht. Das örtliche Jugendamt wird dann über ausbleibende Untersuchungen informiert und entscheidet selbstständig, ob Maßnahmen zu ergreifen sind.

Ergebnis

Das Jugendamt prüft in eigener Verantwortung, ob es das Familiengericht bei ausbleibenden Untersuchungen informiert. Diese Entscheidung des Jugendamtes unterliegt allein dem fachlichen Ermessen der dortigen Mitarbeiter und ist einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht zugänglich. Erst mit Anrufung des Familiengerichts hat dieses gegebenenfalls Kindeswohl-Maßnahmen zu ergreifen.

Jugendamt muss Gericht einschalten

Keine Inobhutnahme ohne Familiengericht

Kommt das Jugendamt während eines laufenden sorgerechtlichen Verfahrens zu dem Schluss, dass das Kind aus dem Elternhaushalt herausgenommen werden sollte, muss es eine entsprechende familien­gerichtliche Entscheidung herbeiführen. An diese Entscheidung ist das Jugendamt gebunden und kann insbesondere nicht eigenmächtig das Kind in Obhut nehmen. Dies hat das Verwaltungsgericht Hannover in einer aktuellen Entscheidung vom 13. Februar 2023 (Aktenzeichen 3 B 446/23) entschieden.

In dem zugrunde liegenden Fall hatte das Gericht darüber zu befinden, ob die Inobhutnahme von zwei minderjährigen Kindern durch das Jugendamt während eines laufenden sorgerechtlichen Verfahrens zulässig war. Das Jugendamt befürchtete, dass der Kindesvater, wie bereits früher geschehen, mit den Kindern untertauchen werde. 

Familiengericht entscheidet

Solange eine einvernehmliche Regelung zwischen sorgeberechtigten Eltern auf der einen Seite und dem Jugendamt auf der anderen Seite nach den Regelungen des Sozialgesetzbuches VIII nicht möglich ist, muss das Familiengericht sofort angerufen werden. Dies galt vorliegend auch deswegen, weil erkennbar war, dass der Kindesvater mit einer freiwilligen Herausgabe der Kinder nicht einverstanden war, auch eine vorübergehende Fremdunterbringung entsprach nicht dem Willen des sorgeberechtigten Vaters.

Unzulässigkeit der Inobhutnahme

Das Verwaltungsgericht Hannover hat Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme. Nach Auffassung des Gerichts hätte das Jugendamt eine familiengerichtliche Entscheidung zum weiteren Aufenthalt der Kinder herbeiführen müssen. Die Entscheidung, wie immer diese ausgefallen wäre, hätte das Jugendamt hinnehmen müssen und wäre nicht berechtigt gewesen, eine aus seiner Sicht fachlich falsche Entscheidung des Familiengerichts mittels einer unmittelbar anschließenden Inobhutnahme zu überspielen. In Anbetracht der Situation hätte das Jugendamt zwingend das Familiengericht anrufen müssen und erst nach gerichtlicher Entscheidung die Kinder in Obhut nehmen dürfen.

Zweijähriges Kind ist vor Raketen zu schützen

Der Ukraine-Krieg wirkt sich auch auf das Familienrecht in Deutschland aus, wie folgender Fall zeigt:

Die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern einer 2-jährigen Tochter lebten bis zum März 2022 gemeinsam in Odessa im Süden der Ukraine. Nach Ausbruch des Krieges floh die Mutter mit der Tochter nach Deutschland. Der Vater war mit dem Wechsel des Aufenthaltsortes nach Stuttgart nicht einverstanden und begehrte die Rückführung des Kindes in die Ukraine, da die Mutter durch die Ausreise ohne seine Zustimmung das Mitsorgerecht verletzt habe. Die Mutter meint, dass es zu gefährlich sei, mit der Tochter in ein Kriegsgebiet zurückzukehren.

Widerrechtliches Verbringen nach Deutschland

Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart (Aktenzeichen 17 UF 186/22) hat in einer aktuellen Entscheidung der Kindesmutter recht gegeben und den Rückführungs-Antrag des Vaters zurückgewiesen.

Das OLG stellt zunächst fest, dass die Flucht aus der Ukraine nach Deutschland mit der Tochter gegen den Willen des Vaters ein widerrechtliches Verbringen des Kindes darstellt. Vorliegend sei jedoch nachgewiesen, dass eine Rückführung des Kindes in die Ukraine mit einer schwerwiegenden Gefahr des körperlichen und seelischen Schadens verbunden wäre.

Die aktuelle Kriegssituation, der Beschuss auch der Westukraine, in die der Vater mit seiner Tochter verziehen will, durch russische Raketen sowie die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für die Ukraine seien ausreichende Gründe, dass Kind nicht in ein Kriegsgebiet zurückführen zu lassen. Raketenangriffe, so dass OLG, seien in der Westukraine in Zukunft jederzeit möglich und auch wahrscheinlich.

Schutz des Lebens steht über Elternrecht

Die Umstände in der Ukraine gefährden das höchste Rechtsgut des Kindes, nämlich dessen Leben. Angesichts der Kriegshandlungen ist nicht nur mit einer Verängstigung des noch nicht 2 Jahre alten Kindes zu rechnen, sondern auch mit einer unzureichenden ärztlichen Versorgung.

Das OLG hat die vom Vater darüber hinaus beantragte Rückführung in die Republik Moldawien ebenfalls abgewiesen, da das Gesetz keine Rückführung in ein anderes Land als das des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes zulasse. Dies sei vorliegend ausschließlich die Ukraine als bisheriger Wohnsitz des Kindes.

Keine Gefährdung des Kindeswohl bei Förderdefizit

14-jähriges Mädchen bleibt bei Mutter

Die Möglichkeit, dass ein allein betreuender Elternteil eines schwer behinderten Kindes zukünftig ausfällt, stellt keine gegenwärtige Kindeswohlgefährdung dar.

Tochter mit früh- kindlichem Autismus

Die vorbeugende Fremdunterbringung in einer Einrichtung ohne konkreten Anlass rechtfertigt nicht den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und der Gesundheitsfürsorge.

Zum Fall: Das Familiengericht der 1. Instanz hatte der alleinsorgeberechtigten Mutter Teile der elterlichen Sorge entzogen, um eine Unterbringung ihres 14-jährigen Kindes zu erreichen. Das Kind leidet unter frühkindlichem Autismus und hat einen sehr hohen Betreuungs- und Förderbedarf. Die Mutter werde langfristig nicht in der Lage sein, die Betreuung und Versorgung ohne Gefahr für das Wohl des Kindes sicherzustellen, so das Familiengericht. Die Mutter könne künftig nicht ausreichend auf das Kind einwirken.

Optimale Förderung nicht erzwingen

Das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig (Aktenzeichen 2 UF 222/22) sah dies anders und hat in einer aktuellen Entscheidung vom Dezember 2022 beschlossen, dass die elterliche Sorge bei der Mutter verbleibt. Die Möglichkeit, dass ein allein betreuender Elternteil eines schwer behinderten Kindes zukünftig ausfalle, stelle keine gegenwärtige Kindeswohlgefährdung dar. Die vorbeugende Fremdunterbringung zum Zwecke einer frühzeitigen Eingewöhnung in einer Einrichtung ohne konkreten Anlass rechtfertige nicht den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und der Gesundheitsfürsorge. Auch der Vorwurf, dass das Kind nicht die bestmögliche Förderung erhalte, begründe keine Gefährdung des Kindeswohls.

Mutter und Schule als Förderer

Sowohl die Mutter als auch die umfassende Betreuung des Kindes in der Schule stellten sicher, dass die unverzichtbaren Bedürfnisse des Kindes gewährleistet würden. Eingriffe in das Sorgerecht, um eine optimale Förderung zu erzwingen, sind hingegen vom Kinderschutzrecht nicht erfasst. Das OLG hat ferner festgestellt, dass die Unterbringung des Kindes zum jetzigen Zeitpunkt seine Gesamtsituation nicht verbessern würde, da die psychische Belastung durch die Trennung von der Mutter und seinem bekannten Umfeld schwer wiege.

Pflegefamilie statt Elternhaushalt – Familiengericht sieht Vernachlässigung

Eine Trennung des Kindes von seiner Familie gegen den Willen der sorgeberechtigten Eltern ist erst dann zulässig, wenn das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht, dass das Kind bei einem Verbleiben in oder einer Rückkehr in die Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist.

Aktuell hat das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig festgestellt, dass bei den Eltern von mangelnder Erziehungseignung auszugehen sei, wenn die Kinder im Haushalt hochgradig vernachlässigt würden und unzweifelhaft vorhandene Schädigungen auf physische Entbehrung und fehlende emotionale Zuwendung zurückzuführen seien (Entscheidung vom 14. Oktober 2021, Aktenzeichen 2 UF 74/21).

Konkrete Verfehlungen

Fünf Kinder im Alter zwischen fünf und elf Jahren lebten mit ihren Eltern in einem Haushalt. Nach wiederholten Jugendamts-Meldungen und diversen Polizeieinsätzen wurden die Kinder in Obhut genommen. Es sei festgestellt worden, dass die Kinder nicht ausreichend mit Essen versorgt sein. Auch hätten die Eltern es nicht geschafft, die Kinder vor Krankheiten zu schützen, der regelmäßige Schulbesuch sei nicht sichergestellt. Es kam zu Klassenwiederholungen. Die jüngeren Kinder sind entwicklungsverzögert. Ein Kindergarten-Besuch wurde abgelehnt.

Die inhaltliche Tiefe als auch der Umfang der elterlichen Verfehlungen rechtfertigen vorliegend eine Unterbringung in einer Pflegefamilie. Es hätte sich in den ersten Monaten bereits gezeigt, dass sich alle Kinder in Wohngruppen und Erziehungsstellen gut eingelebt hätten. Ein milderes Mittel als die Fremdunterbringung sei nicht ersichtlich, da bei den Eltern eine Bereitschaft zur Mitarbeit nicht festzustellen sei.

Im Ergebnis begründet das OLG, dass eine erhebliche Gefahr bei der Entwicklung der Kinder festzustellen sei. Dies beruhe auch auf konkreten Verdachtsmomenten und nicht nur auf abstrakten Gefahren.

Mildere Mittel nicht erkennbar

Die Familienrichter waren auch in der zweiten Instanz der Auffassung, dass die im Gesetz möglichen Einzelmaßnahmen wie die Entziehung der Elternrechte im Bereich der Gesundheitsfürsorge, der Schulangelegenheiten sowie des Aufenthaltsbestimmungsrechts erforderlich und angemessen waren.

Fazit: Zwar ist durch das Grundgesetz garantiert, dass die Pflege und Erziehung der Kinder frei von staatlichen Einflüssen ist. Bei einer Kindeswohlgefährdung kann das Familiengericht im Rahmen seiner Wächterfunktion Maßnahmen ergreifen, die bis zur Herausnahme eines Kindes aus der Familie reichen können.

Boosterimpfung von Alleinsorge umfasst

Auch über die Auffrischungsimpfung darf die Mutter alleine entscheiden

Die Eltern eines 13-jährigen gemeinsamen Sohnes sind sich nicht einig, ob ihr minderjähriges Kind gegen Corona geimpft werden soll oder nicht. Die Kindesmutter ist für eine Impfung, der Kindesvater dagegen. Die Eltern sind gemeinsam sorgeberechtigt.

Das Oberlandesgericht (OLG) München hat in zwei grundsätzlichen Entscheidungen vom September und nunmehr Ende Oktober 2021 zugunsten der Kindesmutter entschieden, da diese den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) folgt und das gemeinsame Kind impfen lassen will.

Alleinsorge auch für Booster-Impfung

Das OLG hat nunmehr (Aktenzeichen 26 UF 928/21) am 18. Oktober 2021 entschieden, dass das Recht, das eigene Kind mit einem von der STIKO empfohlenen Impfstoff impfen zu lassen auch für künftige Auffrischung und Folgeimpfungen gelte.

Die Entscheidung über die Verabreichung von Impfungen ist einheitlich zu treffen und umfasst nicht nur Erst- und Zweitimpfungen gegen Covid-19 für alle zwölf bis 17-jährigen Kinder. Dieses gelte umso mehr, als dass das 13-jährige Kind die erste Impfung vom August 2021 und die zweite Impfung vom September 2021 gut verkraftet habe. Nebenwirkungen oder Komplikationen ergaben sich nicht.

Die Familienrichter haben keine Veranlassung, die Empfehlungen der STIKO anzuzweifeln. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese Expertenkommission auch und gerade bei der Impfung gegen Corvid-19 eine sorgfältige Prüfung angestellt und unter Abwägung aller sachverständigen Erkenntnisse die entsprechende Impfung für Kinder im Alter von 12-17 Jahren ausgesprochen hat.

Arzt entscheidet

Im Übrigen liegt die Verantwortung letztendlich bei den Ärzten, die die Impfungen in Anbetracht der konkreten Risiken für das Kind in Anbetracht dessen Vorerkrankungen durchführen oder nicht.

Im Ergebnis umfasst die Übertragung der elterlichen Sorge für diesen Einzelbereich der Gesundheitsfürsorge auf die Kindesmutter dem Wohle des Kindes am besten, sodass auch für Booster-Impfungen die Kindesmutter Entscheidungen ohne Zustimmung des Kindesvaters treffen kann.

Vater darf mit Sohn gegen den Willen der Mutter verreisen

14 Tage USA-Urlaub möglich

Eine zweiwöchige USA-Reise eines sechsjährigen Kindes zum Besuch der dort lebenden Großeltern ist keine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung.

Die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern schließen im Umgangsverfahren eine Vereinbarung zu den laufenden Kontakten des Antragstellers mit dem gemeinsamen sechsjährigen Sohn. Der Vater als amerikanischer Staatsangehöriger will mit seinem Sohn in den Sommerferien in die USA verreisen, die Kindesmutter hat dem nicht zugestimmt.

Das Familiengericht Leipzig gab der Mutter zunächst Recht: das Kind bleibt hier. Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden hat jedoch dem Vater einen Ferienumgang für die Dauer von 14 Tagen zur Durchführung der Reise in die USA zugebilligt, (OLG Dresden vom 25. Juni 2021, Aktenzeichen 21 UF 350/21).

Familienkontakte dienen Kindeswohl

Sowohl der 14-tägige Ferienumgang im Juli 2021 als auch der damit verbundene Besuch der Großeltern entspreche dem Kindeswohl, da es die geistig-seelische Entwicklung des Kindes fördere, wenn es Umgang mit möglichst vielen Personen der Familie pflege. Besonders bleibt zu beachten, dass sich die Großeltern bereits in sehr fortgeschrittenem Alter befänden und nach dem Vorbringen des Vaters die Reise nach Deutschland nicht mehr antreten könnten. Die Großmutter sei dem Kind aus früheren Besuchen in Deutschland bekannt. Durch den Ferienbesuch könnten die Kontakte zwischen Großmutter und Enkelsohn vertieft werden.

Fraglich ist vorliegend, ob beide Eltern der Reise zustimmen müssen oder der Kindesvater während seiner Besuchszeit in der Gestaltung der Umgangskontakte frei ist. Nach Ansicht des OLG Dresden handelt es sich bei der geplanten Reise nicht um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung. Grundsätzlich gelte dies für Reisen nur, wenn es sich um Fernreisen in das außereuropäische Ausland handele, sie in ein politisches Krisengebiet führten (Syrien oder Afghanistan) oder es für den Urlaubsort Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes gebe. Dies gelte für den konkreten Fall nicht. Trotz der fortbestehenden Pandemie überwiegten die Vorteile der Reise die damit verbundenen Nachteile. Eine Reisewarnung für die USA habe nicht bestanden. Folglich kann der Vater den Umgang selbst gestalten und zwischen Urlauben in den USA, im Oberharz oder an der Ostsee selbst entscheiden.

Der Vater kann frei entscheiden

Dem Vater und dessen Sohn drohten gegenwärtig weder in den USA noch in Deutschland eine Quarantäne-Pflicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind nach Ablauf des Ferienumgangs nicht nach Deutschland zurückkehren könne und dadurch sein seelisches Wohl beeinträchtigt werde, sei als gering zu beurteilen.

Bei der Dauer des Umgangskontakts sei zu berücksichtigen, dass es in der Vergangenheit nur einen einwöchigen Ferienumgang gegeben habe, so dass eine zweiwöchige Reise angemessen sei. Eine Überforderung des Kindes durch die Dauer des Umgangs, der auch die erforderlichen Flugzeiten einschließe, sei daher nicht zu befürchten. Der Vater gehe mit dem Kind liebevoll um und stehe mit der Kindesmutter auch während des USA-Aufenthalts in Kontakt.

Fazit: Während des Aufenthalts des Kindes bei einem Elternteil bedarf es für Umgangszeiten keine Zustimmung des anderen Elternteils über die konkrete Gestaltung. Eine Grenzziehung erfolgt in der Rechtsprechung dann, wenn die beabsichtigte Reise dem Kindeswohl entgegensteht, davon ist insbesondere bei Reisen in politische Krisengebiete auszugehen.